09.02.2023
DSC und Rotationsrheometrie: zwei sich ergänzende Techniken
Claire Strasser , NETZSCH Gerätebau GmbH
Einleitung
Die dynamische Differenzkalorimetrie, DSC, ist eine der am häufigsten eingesetzten thermoanalytischen Methoden in der Qualitätskontrolle. Ihre große Beliebtheit liegt nicht nur daran, dass sie wesentliche Informationen über Materialeigenschaften wie Glasübergang, Schmelzen oder Fest-fest-Umwandlungen liefert, sondern auch, weil sie einfach und schnell zu bedienen ist. Insbesondere bieten NETZSCH-DSCs die Möglichkeit, die meisten Messschritte zu automatisieren, sodass die Auswertung und sogar die Identifizierung eines Materials automatisch durchgeführt werden können.
Messprinzip
Dynamische Differenzkalorimetrie (DSC)
Basierend auf DIN EN ISO 11357 ist die Wärmestrom-DSC eine Technik, in der der Unterschied zwischen dem Wärmestrom in einen Probentiegel und dem in einen Referenztiegel in Abhängigkeit von der Temperatur und/oder Zeit gemessen wird. Während einer solchen Messung sind Probe und Referenz demselben kontrollierten Temperaturprogramm und einer definierten Atmosphäre ausgesetzt.
- Abb.1: Funktionsprinzip der Rotationsrheometrie
Rotationsrheometrie (Oszillationsmessung)
Rotationsrheometer dienen der Bestimmung der Scherviskosität und der viskoelastischen Eigenschaften von Fluiden. Sie verfügen über zwei parallelen Platten, zwischen denen sich die Probe befindet. In einer Oszillationsmessung oszilliert die obere Platte mit einer definierten Frequenz f [Hz] (oder ω [rad/s]) und Scherdeformation γ ([%]). Die für diese Oszillation benötigte Schubspannung σ ([Pa]) wird ermittelt.
Der Proportionalitätsfaktor |G*| (komplexer Schubmodul) zwischen Schubspannungs- und Deformationsamplitude wird bestimmt. Er ist ein Maß für die Steifigkeit des Materials. Der komplexe Schubmodul lässt sich in einen phasengleichen (G') und einen versetzten Teil (G'') aufteilen (Abbildung 1). Während der elastische Schubmodul G' sich auf die Energiespeicherung bezieht, ist der viskose Schubmodul G'' ein Maß für die Energiedissipation. Auch die komplexe Scherviskosität η* wird von dem komplexen Schubmodul abgeleitet:
Experimenteller Teil
Jede DSC-Messung an einem Polymer sollte drei Segmente, bestehend aus zwei Aufheizungen, zwischen denen die Probe mit einer kontrollierten Rate abgekühlt wird, beinhalten. Jede Messkurve kann unterschiedliche Erkenntnisse und Informationen über die Probe liefern.
- Durch die erste Aufheizung erhält man Informationen über die thermische Vorgeschichte der Probe, beispielsweise wie schnell die Probe während der Herstellung abgekühlt wurde, wie die Lagertemperatur und Luftfeuchtigkeitsbedingungen waren oder ob die Probe einer mechanischen Belastung ausgesetzt wurde.
- Durch Abkühlung der Probe unter definierten Bedingungen (Abkühlrate, Atmosphäre) wird eine bekannte thermische Vorgeschichte erstellt.
- Die anschließende (zweite) Aufheizung wird zur Bestimmung der Probeneigenschaften herangezogen, was besonders wichtig ist, wenn mehrere Polymere verglichen werden sollen, wie beispielsweise in der Qualitätskontrolle.
Zwei ungefüllte Polyetheretherketon (PEEK)-Proben wurden mittels DSC untersucht. In Tabelle 1 sind die Bedingungen der DSC-Messungen an beiden Proben zusammengefasst.
Tab.1: Bedingungen der DSC-Messungen
Messergebnisse
In Abbildung 2 sind die für eine solche Analyse typischerweise verwendeten Ergebnisse der zweiten Aufheizung dargestellt.
Abb.2: DSC-Messung an PEEK-Proben, zweite Aufheizung
Handelt es sich wirklich um dasselbe Material? - Die Antwort liefert die Rheologie
Weitere Informationen über diese beiden Proben lassen sich mittels Rotationsrheometrie ermitteln. Die Polymerschmelze wird dazu zwischen den Messplatten des Kinexus-Rotationsrheometer platziert. Durch Oszillation der oberen Geometrie bei definierter Frequenz und Amplitude werden die viskoelastischen Eigenschaften der Probe bestimmt.
An beiden Polymeren wurde eine Frequenzsweep-Messung durchgeführt, wobei sichergestellt wurde, dass diese innerhalb des linear-viskoelastischen Bereichs jeder Probe (LVB, siehe Hintergrundinformationen am Ende des Artikels) stattfand. Ein Amplitudensweep dient als Vor-Test zur Bestimmung des LVB-Bereichs jeder Probe. In Tabelle 2 sind die Bedingungen des Amplituden- und des Frequenzsweeps aufgeführt.
Tab.2: Messbedingungen der Oszillationsmessungen
Abb.3: Amplitudensweep von Probe 1 in Abhängigkeit von der Scherdeformation
In Abbildung 4 sind die Kurven von Elastizitäts- (G'; rot) und Verlust-Schubmodul (G''; blau) sowie des während des Frequenzsweeps zusätzlich aufgezeichneten Phasenwinkels (; grün) dargestellt. Zu niedrigeren Frequenzen hin dominiert der Verlustmodul den Elastizitätsmodul (Phasenwinkel > 45°): Das Material verhält sich wie eine viskoelastische Flüssigkeit. Ein Crossover zwischen G' und G'' findet bei einer Frequenz von ca. 15 Hz statt: Bei höheren Frequenzen (d.h. kurzen Zeitskalen) dominieren die "festkörperähnlichen" Materialeigenschaften.
Abb.4: Frequenzsweep von PEEK Probe 1
Abb.5: Frequenzsweep von PEEK Probe 2
Die unterschiedlichen Werte des komplexen Viskositätsplateaus (Abbildung 6) sind auch auf die unterschiedlichen Molmassen zurückzuführen. Je höher die Molmasse, desto höher ist das Plateau der Null-Scherviskosität [2].
Abb.6: Vergleich der komplexen Viskosität der beiden PEEK Proben
In Abbildung 7 sind die DSC-Abkühlkurven beider PEEK-Materialien dargestellt. Der zwischen 310 °C und 240 °C detektierte exotherme Peak kann typischerweise auf die Kristallisation des PEEK zurückgeführt werden. Die Glasumwandlungstemperaturen wurden bei ca. 150 °C bestimmt. Eine interessante Beobachtung ist der Unterschied in den Peak-Kristallisationstemperaturen TC. Das Material mit der geringeren Molmasse (PEEK-Probe 2) weist einen um 5 °C niedrigeren Wert auf.
Abb.7: Abkühlkurve von PEEK. DSC Messungen wie in Tabelle 1 beschrieben.
Zusammenfassung
Die dynamische Differenz-Kalorimetrie ist eine bewährte, bedienerfreundliche Methode, die eine schnelle Analyse der thermischen Eigenschaften von Polymeren ermöglicht. Für die Qualitätskontrolle werden in der Regel die zweiten DSC-Aufheizkurven herangezogen. In einigen Fällen kann jedoch auch das Abkühlsegment von großem Interesse sein. Die Rheometrie ist eine ergänzende Technik, die Informationen über die Scherviskosität und die viskoelastischen Materialeigenschaften liefert. Die Kombination von DSC und Rheometrie ermöglicht somit einen viel tieferen Einblick in die Materialeigenschaften als mit einer einzelnen Methode.
Hintergrundinformationen
LVB - Linear viskoelastischer Bereich (Englisch: LVER, Linear viscoelastic range)
- Der LVB ist der Amplitudenbereich, in dem Spannung und Dehnung proportional sind.
- Die in diesem Bereich aufgebrachten Spannungen (oder Dehnungen) reichen nicht aus, um einen Zusammenbruch der Struktur hervorzurufen und so können mikrostrukturelle Eigenschaften gemessen werden.
Der Phasenwinkel δ (tan δ = G''/G') ist eine relative Messung der elastischen und viskosen Eigenschaften eines Materials. Er geht von 0° für ein vollkommen elastisches Material bis 90° für ein vollkommen viskoses Material.
Literaturverzeichnis
[1] DSC Handbook for Polymers, Application Books - NETZSCH Analyzing & Testing
[2] NETZSCH Rheology Book, Application Books - NETZSCH Analyzing & Testing
[3] NETZSCH AN 236, Bestimmung der Scherviskosität einer Polymerschmelze mittels Oszillationsmessung: Die Cox-Merz-Regel, Application Literature - NETZSCH Analyzing & Testing
Abbildungen
Alle Abbildungen: ©NETZSCH Gerätebau GmbH