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30.04.2024

09.02.2023

DSC und Rotationsrheometrie: zwei sich ergänzende Techniken

Claire Strasser , NETZSCH Gerätebau GmbH

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Einleitung

Die dynamische Differenzkalorimetrie, DSC, ist eine der am häufigsten eingesetzten thermoanalytischen Methoden in der Qualitätskontrolle. Ihre große Beliebtheit liegt nicht nur daran, dass sie wesentliche Informationen über Materialeigenschaften wie Glasübergang, Schmelzen oder Fest-fest-Umwandlungen liefert, sondern auch, weil sie einfach und schnell zu bedienen ist. Insbesondere bieten NETZSCH-DSCs die Möglichkeit, die meisten Messschritte zu automatisieren, sodass die Auswertung und sogar die Identifizierung eines Materials automatisch durchgeführt werden können.

Messprinzip
Dynamische Differenzkalorimetrie (DSC)

Basierend auf DIN EN ISO 11357 ist die Wärmestrom-DSC eine Technik, in der der Unterschied zwischen dem Wärmestrom in einen Probentiegel und dem in einen Referenztiegel in Abhängigkeit von der Temperatur und/oder Zeit gemessen wird. Während einer solchen Messung sind Probe und Referenz demselben kontrollierten Temperaturprogramm und einer definierten Atmosphäre ausgesetzt.

Rotationsrheometrie
Abb.1: Funktionsprinzip der Rotationsrheometrie

Rotationsrheometrie (Oszillationsmessung)

Rotationsrheometer dienen der Bestimmung der Scherviskosität und der viskoelastischen Eigenschaften von Fluiden. Sie verfügen über zwei parallelen Platten, zwischen denen sich die Probe befindet. In einer Oszillationsmessung oszilliert die obere Platte mit einer definierten Frequenz f [Hz] (oder ω [rad/s]) und Scherdeformation γ ([%]). Die für diese Oszillation benötigte Schubspannung σ ([Pa]) wird ermittelt.

Der Proportionalitätsfaktor |G*| (komplexer Schubmodul) zwischen Schubspannungs- und Deformationsamplitude wird bestimmt. Er ist ein Maß für die Steifigkeit des Materials. Der komplexe Schubmodul lässt sich in einen phasengleichen (G') und einen versetzten Teil (G'') aufteilen (Abbildung 1). Während der elastische Schubmodul G' sich auf die Energiespeicherung bezieht, ist der viskose Schubmodul G'' ein Maß für die Energiedissipation. Auch die komplexe Scherviskosität η* wird von dem komplexen Schubmodul abgeleitet:

Abkühlkurve

Experimenteller Teil

Jede DSC-Messung an einem Polymer sollte drei Segmente, bestehend aus zwei Aufheizungen, zwischen denen die Probe mit einer kontrollierten Rate abgekühlt wird, beinhalten. Jede Messkurve kann unterschiedliche Erkenntnisse und Informationen über die Probe liefern.

  • Durch die erste Aufheizung erhält man Informationen über die thermische Vorgeschichte der Probe, beispielsweise wie schnell die Probe während der Herstellung abgekühlt wurde, wie die Lagertemperatur und Luftfeuchtigkeitsbedingungen waren oder ob die Probe einer mechanischen Belastung ausgesetzt wurde.
  • Durch Abkühlung der Probe unter definierten Bedingungen (Abkühlrate, Atmosphäre) wird eine bekannte thermische Vorgeschichte erstellt.
  • Die anschließende (zweite) Aufheizung wird zur Bestimmung der Probeneigenschaften herangezogen, was besonders wichtig ist, wenn mehrere Polymere verglichen werden sollen, wie beispielsweise in der Qualitätskontrolle.
In folgender Studie wird aufgezeigt, dass jedoch auch das häufig vernachlässigte Abkühlsegment von großem Interesse sein kann.

Zwei ungefüllte Polyetheretherketon (PEEK)-Proben wurden mittels DSC untersucht. In Tabelle 1 sind die Bedingungen der DSC-Messungen an beiden Proben zusammengefasst.

 Bedingungen der DSC-Messungen
Tab.1: Bedingungen der DSC-Messungen

Messergebnisse

In Abbildung 2 sind die für eine solche Analyse typischerweise verwendeten Ergebnisse der zweiten Aufheizung dargestellt.

 Bedingungen der DSC-Messungen
Abb.2: DSC-Messung an PEEK-Proben, zweite Aufheizung

Beide Kurven sind sehr ähnlich. Die bei 150 bis 151 °C detektierten Stufe in der Basislinie ist auf den Glasübergang des Polymers zurückzuführen. Der anschließende, zwischen 270 und 360 °C nachgewiesene Peak resultiert vom Schmelzen der kristallinen Phase. Bei beiden Proben liegt die Peaktemperatur bei 343 °C verbunden mit einer Schmelzenthalpie von 44 bis 45 J/g. Die Schmelztemperatur ist typisch für PEEK [1]. Anhand dieser Aufheizkurven lässt sich kein nennenswerter Unterschied zwischen Probe 1 und 2 feststellen. Eine Qualitätskontrolle würde ergeben, dass es sich um dasselbe Material handelt.

Handelt es sich wirklich um dasselbe Material? - Die Antwort liefert die Rheologie

Weitere Informationen über diese beiden Proben lassen sich mittels Rotationsrheometrie ermitteln. Die Polymerschmelze wird dazu zwischen den Messplatten des Kinexus-Rotationsrheometer platziert. Durch Oszillation der oberen Geometrie bei definierter Frequenz und Amplitude werden die viskoelastischen Eigenschaften der Probe bestimmt.

An beiden Polymeren wurde eine Frequenzsweep-Messung durchgeführt, wobei sichergestellt wurde, dass diese innerhalb des linear-viskoelastischen Bereichs jeder Probe (LVB, siehe Hintergrundinformationen am Ende des Artikels) stattfand. Ein Amplitudensweep dient als Vor-Test zur Bestimmung des LVB-Bereichs jeder Probe. In Tabelle 2 sind die Bedingungen des Amplituden- und des Frequenzsweeps aufgeführt.

 Bedingungen der DSC-Messungen
Tab.2: Messbedingungen der Oszillationsmessungen

Abbildung 3 zeigt die Kurven, die sich aus dem Amplitudensweep an Probe 1 ergeben. Für Scherdeformationen bis ca. 30 % bleibt der elastische Schubmodul G' konstant. Bei höheren Deformationen weicht G' von der Linearität ab. Sie liegen außerhalb des LVB und führen zu einem Zusammenbruch der Probenstruktur.

 Bedingungen der DSC-Messungen
Abb.3: Amplitudensweep von Probe 1 in Abhängigkeit von der Scherdeformation

Die Deformation von 30 % entspricht einer Schubspannung von ca. 10.000 Pa. Somit liegt eine gewählte Schubspannung von 1.000 Pa für nachfolgende Oszillationsmessungen an diesen Proben, wie beispielsweise ein Frequenzsweep, innerhalb des LVB.

In Abbildung 4 sind die Kurven von Elastizitäts- (G'; rot) und Verlust-Schubmodul (G''; blau) sowie des während des Frequenzsweeps zusätzlich aufgezeichneten Phasenwinkels (; grün) dargestellt. Zu niedrigeren Frequenzen hin dominiert der Verlustmodul den Elastizitätsmodul (Phasenwinkel > 45°): Das Material verhält sich wie eine viskoelastische Flüssigkeit. Ein Crossover zwischen G' und G'' findet bei einer Frequenz von ca. 15 Hz statt: Bei höheren Frequenzen (d.h. kurzen Zeitskalen) dominieren die "festkörperähnlichen" Materialeigenschaften.

 Bedingungen der DSC-Messungen
Abb.4: Frequenzsweep von PEEK Probe 1

Abbildung 5 zeigt den Frequenzsweep von Probe 2. Über die gesamte Messung dominiert der Verlust-Schubmodul den Elastizitäts-Schubmodul, was einen Phasenwinkel von über 45° zur Folge hat. Der Phasenwinkel nimmt mit zunehmender Frequenz ab. Mit anderen Worten: Bei niedrigen Frequenzen (oder langen Zeitskalen) verhält sich die Probe in der Schmelze nahezu wie eine rein viskose Flüssigkeit (Phasenwinkel nahe 90°) mit minimalen elastischen Eigenschaften.

 Bedingungen der DSC-Messungen
Abb.5: Frequenzsweep von PEEK Probe 2

In dem gemessenen Frequenzbereich lässt sich kein Übergang feststellen. Dieser tritt erst bei einer Frequenz auf, die außerhalb des gemessenen Frequenzbereichs liegt, d.h. oberhalb von 20 Hz. Je höher die Frequenz des Übergangs, desto niedriger ist die Molmasse [2]. Beide Materialien unterscheiden sich offensichtlich in ihrer Molmasse, was bei den Schmelzübergängen in der DSC nicht beobachtet werden konnte.

Die unterschiedlichen Werte des komplexen Viskositätsplateaus (Abbildung 6) sind auch auf die unterschiedlichen Molmassen zurückzuführen. Je höher die Molmasse, desto höher ist das Plateau der Null-Scherviskosität [2].

 Bedingungen der DSC-Messungen
Abb.6: Vergleich der komplexen Viskosität der beiden PEEK Proben

Anmerkung: Hier wird die komplexe Viskosität und nicht die Scherviskosität bestimmt. Nach der Cox-Merz-Regel lassen sich jedoch beide Werte angleichen [3].

In Abbildung 7 sind die DSC-Abkühlkurven beider PEEK-Materialien dargestellt. Der zwischen 310 °C und 240 °C detektierte exotherme Peak kann typischerweise auf die Kristallisation des PEEK zurückgeführt werden. Die Glasumwandlungstemperaturen wurden bei ca. 150 °C bestimmt. Eine interessante Beobachtung ist der Unterschied in den Peak-Kristallisationstemperaturen TC. Das Material mit der geringeren Molmasse (PEEK-Probe 2) weist einen um 5 °C niedrigeren Wert auf.

Abkühlkurve
Abb.7: Abkühlkurve von PEEK. DSC Messungen wie in Tabelle 1 beschrieben.

Während der Unterschied in der Molmasse beider PEEK-Polymere keinen Einfluss auf ihre Schmelzpeaks hat, zeigen die Proben ein unterschiedliches Abkühlverhalten; je niedriger die Molmasse, umso höher ist die Kristallisationstemperatur. Mittels Abkühlung in der DSC kann der Unterschied in der Molmasse zwar angedeutet, jedoch nicht vorhergesagt werden; die Rheologie-Messung liefert dagegen eindeutige Informationen. Mittels DSC-Messungen konnten beide Proben als PEEK-Polymere identifiziert werden. Messungen mit dem Kinexus Rotationsrheometer stellten deutlich heraus, dass es sich nicht um das gleiche Material handelt, sondern dass sie sich durch verschiedene Molmassen unterscheiden.

Zusammenfassung

Die dynamische Differenz-Kalorimetrie ist eine bewährte, bedienerfreundliche Methode, die eine schnelle Analyse der thermischen Eigenschaften von Polymeren ermöglicht. Für die Qualitätskontrolle werden in der Regel die zweiten DSC-Aufheizkurven herangezogen. In einigen Fällen kann jedoch auch das Abkühlsegment von großem Interesse sein. Die Rheometrie ist eine ergänzende Technik, die Informationen über die Scherviskosität und die viskoelastischen Materialeigenschaften liefert. Die Kombination von DSC und Rheometrie ermöglicht somit einen viel tieferen Einblick in die Materialeigenschaften als mit einer einzelnen Methode.

Hintergrundinformationen
LVB - Linear viskoelastischer Bereich (Englisch: LVER, Linear viscoelastic range)

  • Der LVB ist der Amplitudenbereich, in dem Spannung und Dehnung proportional sind.
  • Die in diesem Bereich aufgebrachten Spannungen (oder Dehnungen) reichen nicht aus, um einen Zusammenbruch der Struktur hervorzurufen und so können mikrostrukturelle Eigenschaften gemessen werden.
Phasenwinkel
Der Phasenwinkel δ (tan δ = G''/G') ist eine relative Messung der elastischen und viskosen Eigenschaften eines Materials. Er geht von 0° für ein vollkommen elastisches Material bis 90° für ein vollkommen viskoses Material.

Literaturverzeichnis

[1] DSC Handbook for Polymers, Application Books - NETZSCH Analyzing & Testing
[2] NETZSCH Rheology Book, Application Books - NETZSCH Analyzing & Testing
[3] NETZSCH AN 236, Bestimmung der Scherviskosität einer Polymerschmelze mittels Oszillationsmessung: Die Cox-Merz-Regel, Application Literature - NETZSCH Analyzing & Testing

Abbildungen

Alle Abbildungen: ©NETZSCH Gerätebau GmbH


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