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02.05.2024

11.02.2021

Der Strukturfaktor ε - Bestimmung und Bedeutung für die Analyse von verzweigten Polymeren

Dr. Gerhard Heinzmann , Alina Heinzmann, Sophia Heinzmann

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Mit einem Gelpermeationschromatographiesystem mit Dreifachdetektion (Mehrwinkel-Lichtstreuung, Viskositätsdetektion und Brechungsindexdetektion) können die Verzweigungsgrade von Polymeren bestimmt werden [1]. Grundlage der Bestimmung von Verzweigungsgraden ist die Zimm-Stockmayer Theorie [2].

Zur Bestimmung der Verzweigungsgrade können die Daten aus dem Mehrwinkel-Lichtstreudetektor herangezogen werden. Man bestimmt die Trägheitsradien der verzweigten Polymere und vergleicht diese mit den Trägheitsradien von linearen Polymeren mit derselben chemischen Zusammensetzung. Daraus berechnet man einen g-Faktor.

Aus dem Verhältnis der Trägheitsradien von linearen und verzweigten Polymermolekülen, und somit dem g-Faktor, lassen sich Rückschlüsse auf den Verzweigungsgrad der Proben ziehen.

Allerdings ist die Bestimmung des g-Faktors über die Mehrwinkel-Lichtstreuung nur bis zu einer molekularen Größe von etwa 10 nm Trägheitsradius möglich. Das entspricht z. B. bei einem Polystyrolmolekül immerhin einem Molekulargewicht von ca. 100.000 g/mol. Unterhalb dieser Größe und dieser Molaren Masse streut die Probe das Licht isotrop; es ist keine Winkelabhängigkeit des Streulichtes mehr zu beobachten. Da der Trägheitsradius einer Probe mit der Mehrwinkel-Lichtstreudetektion aber aus der Anfangssteigung der Winkelabhängigkeit des Streulichtes bestimmt wird, ist diese Bestimmung nun nicht mehr möglich.

Abhilfe schafft der Viskositätsdetektor. Auch aus seinen Daten kann ebenfalls der g-Faktor einer Polymerprobe bestimmt werden, und zwar bis zu einer Größe von etwa 1 nm, was wiederum z. B. bei einem Polystyrolmolekül einem Molekulargewicht von nur noch ca. 1.000 g/mol entspricht. Allerdings sind der g-Faktor aus dem Viskositätsdetektor und der g-Faktor aus der Mehrwinkel-Lichtstreuung nicht identisch, weshalb der g-Faktor aus dem Viskositätsdetektor zunächst auch als g'-Faktor bezeichnet wird. Erst durch die Einführung des Strukturfaktors ε wird aus dem g'-Faktor der g-Faktor. Im Folgenden soll aufgezeigt werden wie dieser Strukturfaktor ε bestimmt werden kann und welche Bedeutung ihm zukommt.

Abb1
Abb.1: Bestimmung des Trägheitsradius mit der
statischen Mehrwinkel-Lichtstreudetektion (MALS)
Bestimmung des g-Faktors mit der Mehrwinkel-Lichtstreuung

Der einfachste und physikalisch korrekte Weg zur Bestimmung des g-Wertes ist die Messung der Trägheitsradien von verzweigten Polymeren und linearen Polymeren mit derselben chemischen Zusammensetzung, also z. B. die Messung einer verzweigten Polystyrolprobe und einer linearen Polystyrolprobe, mit der Mehrwinkel-Lichtstreuung. Trägt man wie in Abbildung 1 dargestellt das Streulicht auf, das bei verschiedenen Detektionswinkeln gemessen wird, und extrapoliert dies auf den messtechnisch nicht zugänglichen Streuwinkel von Null Grad, dann kann aus der Anfangssteigung dieser Funktion der Trägheitsradius der Probe bestimmt werden.

Hat man nun die Trägheitsradien der verzweigten (br) und der linearen (lin) Polymerprobe bei gleichem Molekulargewicht (M) bestimmt, kann man diese ins Verhältnis setzen und somit den g-Faktor berechnen:

gleichung 1

Aus dem g-Faktor wiederum können nun mit Hilfe der bereits erwähnten Zimm-Stockmayer Theorie die Verzweigungsgrade von Polymerproben bestimmt werden. Die wichtigsten Gleichungen der Zimm-Stockmayer Theorie sind:
Sternförmige Verzweigungen (f = Anzahl der Arme):

gleichung2

Willkürliche Verzweigungen, trifunktional, monodispers (Bn = Anzahl der Verzweigungen)

gleichung3

Willkürliche Verzweigungen, trifunktional, polydispers (Bn = Anzahl der Verzweigungen)

gleichung4

Darüber hinaus listet die Zimm-Stockmayer Theorie noch eine Vielzahl weiterer Gleichungen auf für unterschiedlichste Polymerarchitekturen [2].

Bestimmung des g'-Faktors mit der Viskositätsdetektion

Wie bereits erwähnt ist die Bestimmung des g-Wertes über die Messung der Trägheitsradien mit der Mehrwinkel-Lichtstreuung aber nur bis zu einem Trägheitsradius von ca. 10 nm möglich, da unterhalb dieser molekularen Größe keine Winkelabhängigkeit des Streulichtes mehr zu beobachten ist, und somit auch keine Anfangssteigung mehr vorhanden ist, aus der der Trägheitsradius berechnet werden könnte.

Abhilfe bietet hier der Viskositätsdetektor. Mit ihm können die Intrinsischen Viskositäten von Polymerproben bis zu einem Molekulargewicht von ca. 1.000 g/mol und somit bis zu einem Trägheitsradius von ca. 1 nm gemessen werden. Misst man die Intrinsischen Viskositäten [η] der verzweigten (b) und der linearen (l) Polymerprobe bei gleichem Molekulargewicht (M) dann kann man diese ins Verhältnis setzen und somit zunächst den g'-Faktor berechnen:

gleichung5

Der Strukturfaktor ε

Um eine Vergleichbarkeit der Messungen mit der Mehrwinkel-Lichtstreuung und der Viskositätsdetektion herstellen zu können, muss der g'-Faktor aus der Viskositätsdetektion in den g-Faktor der Mehrwinkel-Lichtstreuung umgerechnet werden. Hier kommt der Strukturfaktor ε ins Spiel. Es gilt folgende Gleichung:

gleichung6

Durch den Strukturfaktor ε kann aus dem g'-Faktor der g-Faktor berechnet werden. Für Polymere die in Lösung ein gaußförmiges, vom Lösungsmittel gut durchspültes Polymerknäuel ausbilden, hat ε in der Regel einen Wert von 0,75. Beispiele hierfür sind Polystyrol und PMMA in THF, Pullulan und Dextran in wässrigen Lösungsmitteln, sowie eine Vielzahl anderer Polymere in diversen Lösungsmitteln. In der Literatur finden sich aber je nach Verzweigungsstruktur Werte für ε die von ca. 0,5 bis ca. 1,5 reichen [3,4].

Bestimmung und Bedeutung des Strukturfaktors ε

Der Strukturfaktor ε ist messtechnisch zugänglich. Für eine lineare und eine chemisch identische, verzweigte Polymerprobe, die die Größe von 10 nm Trägheitsradius überschreiten, können mit der Mehrwinkel-Lichtstreuung die Trägheitsradien der Polymere und somit deren g-Faktor bestimmt werden. Mit dem Viskositätsdetektor können die Intrinsischen Viskositäten der Polymere und daraus deren g'-Faktor bestimmt werden. Aus den beiden Werten kann nun der Strukturfaktor ε berechnet werden, der benötigt wird, um beide Werte anzugleichen. Wie bereits erwähnt werden dabei für viele verzweigte Polymere in unterschiedlichen Lösungsmitteln meist Werte im Bereich von 0,5 bis 1,5 gefunden.

Detaillierte Untersuchungen zum Strukturfaktor ε sollten zeigen, wie sich die verschiedenen Detektoren (Mehrwinkel-Lichtstreuung und Viskositätsdetektion) zur Bestimmung von Verzweigungsgraden eignen, und ob der Strukturfaktor ε einen Hinweis geben kann, auf die Art der Verzweigung im Polymermolekül, ob es sich z. B. mehr um willkürliche, strauchförmige Verzweigungen im Polymermolekül handelt, oder eher um eine strukturierte, sich wiederholende Verzweigung. So wird z. B. für eine sternförmige Polyisoprenprobe im Lösungsmittel Dioxan ein Wert von 0,55 für den Strukturfaktor gefunden. Auch andere stern- und kammförmig verzweigte Polymerproben weisen ähnliche niedrige Werte für den Strukturfaktor auf. Im Vergleich dazu weisen manche willkürlich verzweigten Proben, wie z. B. eine willkürlich verzweigte Polyethylenprobe im Lösungsmittel Decalin, oder auch eine willkürlich bzw. strauchförmig verzweigte Polystyrolprobe im Lösungsmittel Cyclohexan, Werte von bis zu 1,3 für den Strukturfaktor auf [3-5].

Fazit

Der Strukturfaktor ε ist ein wichtiger Bestandteil der Zimm-Stockmayer Theorie zur Bestimmung von Verzweigungsgraden von Polymermolekülen. Der physikalisch korrekte Weg zur Bestimmung von Verzweigungsgraden führt über die Bestimmung des g-Faktors mit der Mehrwinkel-Lichtstreuung. Allerdings ist hier die messtechnisch zugängliche, untere Grenze, bei einem Trägheitsradius von ca. 10 nm, und somit einem Molekulargewicht von ca. 100.000 g/mol erreicht. Die Verzweigungsgrade von kleineren Molekülen können mit der Mehrwinkel-Lichtstreuung nicht mehr bestimmt werden. Mit einem Viskositätsdetektor hingegen lassen sich die Intrinsischen Viskositäten von Polymerproben bis zu einem Molekulargewicht von ca. 1.000 g/mol und somit bis zu einem Trägheitsradius von ca. 1 nm messen.

Allerdings kann aus dem Verhältnis der Intrinsischen Viskositäten von verzweigter und linearer Probe nicht direkt der g-Faktor bestimmt werden, sondern nur der g'-Faktor. Um den aus den Intrinsischen Viskositäten bestimmten g'-Faktor in den aus der Mehrwinkel-Lichtstreuung bestimmten g-Faktor umrechnen zu können, wird der Strukturfaktor ε benötigt, der für ein gaußförmiges, vom Lösungsmittel gut durchspültes Polymerknäuel, in der Regel einen Wert von 0,75 aufweist. In der Literatur finden sich aber auch andere Werte für den Strukturfaktor ε, abhängig von der Verzweigungsstruktur der untersuchten Probe. Der Strukturfaktor ε ist mit einem Gelpermeationschromatographiesystem mit Dreifachdetektion (Mehrwinkel-Lichtstreuung, Viskositätsdetektion und Brechungsindexdetektion) messtechnisch zugänglich, und kann Informationen über die Verzweigungsstruktur einer Polymerprobe liefern.

Literatur

  1. G. Heinzmann, "Analyse von Verzweigungsgraden mit der GPC/SEC", Fachartikel Analytik NEWS (2007)
  2. Zimm, B.H., Stockmayer, W.H.: J. Chem. Phys. 17 (1949) 1301
  3. Encylopedia of Polymer Science & Engineering, Vol. 2, "Branched Polymers", John Wiley (1985) 478-499
  4. J. V. Dawkins, "Characterization of Long-Chain Branching in Polymers", Developments in Polymer Characterization, Applied Science, Barking (1983)
  5. F. Beer, G. Capaccio and L. J. Rose, "High molecular weight tail and longchain branching in SRM 1476 polyethylene", Journal of Applied Polymer Science 73 (1999) 2807-2812


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