04.11.2021
Abgeschwächte Totalreflexion im Infraroten an einem Mischsystem
Seit ihrer Einführung in den 1960er Jahren hat sich die abgeschwächte Totalreflexion (ATR) in der Infrarot-(IR)-Spektroskopie mittlerweile als analytische Messmethode fest etabliert. Eine ihrer besonderen Stärken liegt dabei in der Möglichkeit, stark absorbierende Proben bei einer gleichzeitig sehr einfachen Probenpräparation messen zu können.
Das Messprinzip basiert auf einer Totalreflexion, die man im Alltag z.B. während der heißen Sommermonate auf stark erhitzten oder auf frisch geteerten Straßen wahrnehmen kann. Hier werden der Himmel sowie Teile der Umgebung an heißen Luftschichten kontinuierlich bis hin zur Totalreflexion reflektiert, so dass ein Eindruck von spiegelnden Wasseroberflächen erzeugt wird.
Die sehr heiße Luft in unmittelbarer Nähe der Fahrbahnoberfläche besitzt eine kleinere Brechzahl als die darüber liegenden kälteren Schichten. Da diese Brechzahlunterschiede nur sehr gering sind, ist auch der Beobachtungswinkel zur Horizontalen sehr klein, so dass eine spiegelnde Oberfläche stets am Horizont in weiter Ferne liegt und mit jeder Annäherung verschwindet bzw. in größerer Ferne (bei kleinerem Winkel zur Horizontalen) erneut auftaucht.
- Abb.1: Schematische Darstellung der Eindringtiefe
bei der abgeschwächten Totalreflexion
Bei der abgeschwächten Totalreflexion dringt nur ein kleiner Bruchteil des IR-Strahls in das optisch dünnere Medium ein, welches i.d.R. die Probe darstellt, wodurch der nahezu totalreflektierte Primärstrahl etwas an Intensität durch Absorption des optisch dünneren Mediums verliert (Abbildung 1). Aus einer Reflexionsmessung wird somit effektiv eine Transmissionsmessung des optisch dünneren Mediums generiert.
Streng betrachtet ist die Totalreflexion immer eine abgeschwächte Totalreflexion. Die Abschwächung lässt sich noch verstärken, wenn der IR-Strahl mehrfach an der Grenzfläche zwischen Prisma und Probe reflektiert wird. Die Anzahl der Reflexionen wird im Wesentlichen durch die Größe des ATR-Prismas bestimmt, welches Einsatz findet.
Bei quantitativen Gehaltsbestimmungen flüssiger Proben mittels IR-Spektroskopie werden i.d.R. Transmissionsmessungen in Küvetten mit definierter Schichtdicke durchgeführt. Meist lassen sich dann lineare Kalibrationsgleichungen anwenden, wie sie nach dem Lambert-Beerschen Gesetz innerhalb bestimmter Grenzen auch zu erwarten sind.
Bei der ATR-Technik hingegen ist eine Schichtdicke nicht klar definiert bzw. sie ist variabel. Man spricht hierbei alternativ von der Eindringtiefe der IR-Strahlung [1]. Diese ist abhängig von den Brechzahlen der Proben und des ATR-Prismas, dem Einfallswinkel und der Wellenlänge bzw. der Wellenzahl, wie im nachfolgenden Abschnitt Eindringtiefe weiter beschrieben wird.
Mit einer entsprechenden Kalibrierung werden jedoch ebenfalls quantitative Bestimmungen mittels ATR-Technik möglich. Im Folgenden wird dazu ein Beispiel einer nicht linearen Kalibrierung auf Basis einer binären Mischungsreihe aus einem aliphatischen Kohlenwasserstoff (Heptan) und einem aromatischen Silikonöl präsentiert, die sich in ihren Brechzahlen deutlich voneinander unterscheiden.
Eindringtiefe
Die Eindringtiefe d bei der abgeschwächten Totalreflexion ist die Strecke innerhalb des optisch dünneren Mediums, bei der die Intensität I des IR-Strahls auf 1/e, also ca. 37 % seiner Primärintensität I0, abgefallen ist. Sie hängt von der verwendeten Wellenlänge, dem Einfallswinkel sowie den Brechzahlen des Mediums und des ATR-Materials ab.
Gleichung (1)
d: Eindringtiefe
λ: Wellenlänge
nDiamant: Brechzahl von Diamant
nProbe: Brechzahl der Probe
θ: Einfallswinkel (zum Lot der Oberfläche)
Nach Gleichung (1) ergeben sich Eindringtiefen von ca. 0,5-3 µm für Wellenlängen von 2500-14286 nm bzw. Wellenzahlen von 4000-700 cm-1 und für Brechzahlen wie nProbe = 1,5 und nDiamant = 2,4.
Bandenlagen
Die IR-Spektren von Heptan und dem aromatischen Silikonöl zeigen neben wenigen Gemeinsamkeiten überwiegend deutliche Unterschiede. Gemeinsam ist beiden das Auftreten von CH-Signalen im Bereich um 2900 cm-1. Das Spektrum des Silikonöls weist zudem die für aromatische Verbindungen typischen CH-Signale im Bereich von 3000-3100 cm-1 sowie 1600-2000 cm-1 auf. Charakteristisch für das Silikonöl sind die intensiven SiO-Signale im Bereich von 900-1200 cm-1 (Abbildung 2 und 3).
Abb.2: ATR-IR-Spektren von Silikonöl und Heptan zu jeweils 100 %.
Abb.3: Ausgewählte ATR-IR-Spektren von Silikonöl in Heptan (10-90 Gew.-%)
dargestellt im Wellenzahlbereich von 900-3600 cm-1
Kalibrierung
Zur Kalibrierung wurden Mischungen aus 1-90 Gew.-% Silikonöl in Heptan hergestellt und auf einer Diamant-ATR-Einheit vermessen. Für die Auswertung stand der Wellenzahlbereich von 900-1200 cm-1 im Fokus, da in diesem das Silikonöl maximal und das Heptan nur minimal absorbieren (Abbildung 3). Speziell wurde die Extinktion bei 1014 cm-1 herangezogen.
Bei idealem Verhalten, also bei gleichen Brechzahlen sowie der Abwesenheit von intermolekularen Wechselwirkungen, wären die Spektren additiv. Die Extinktionen der Mischungen ließen sich dann einfach aus den Spektren der beiden Reinkomponenten über ihre jeweiligen Extinktionskoeffizienten und molaren Konzentrationen berechnen. Der Einfachheit halber wurden hier jedoch nur die Extinktionen über ihre Massenanteile gewichtet (Abbildung 4).
Abb.4: Gemessenes IR-Spektrum von 50 Gew.-% Silikonöl in Heptan
im Vergleich zu einem berechneten auf der Annahme idealer Additivität
Abb.5: Extinktionswerte bei 1014 cm-1 für verschiedene Massenanteile
an Silikonöl in Heptan mit angepasster Kurve nach Gln. 2 (fit)
Gleichung (2)
EM: Extinktion der jeweiligen Mischung bei 1014 cm-1
WS: Massenanteil Silikonöl in Heptan
A, B: Konstanten
Die Konstanten wurden über eine Minimierung der Fehlerquadratsumme bestimmt:
Gleichung (3)
FQS: Fehlerquadratsumme
Yberechnet, ν: berechneter Wert für die Wellenzahl ν
Ygemessen, ν: gemessener Wert für die Wellenzahl ν
Die Nachweis- und Bestimmungsgrenzen (NWG, BSG) lassen sich aus dem 100 % Heptan-Spektrum im Bereich von 900-1200 cm-1 abschätzen, welches einen Blindwert von BW = 0,0098 und eine Standardabweichung in der Extinktion von σ = 0,0032 liefert. Für die Nachweisgrenze in Extinktionseinheiten kann BW+3σ und für die Bestimmungsgrenze BW+10σ angesetzt werden. Für die Nachweis- und Bestimmungsgrenze in Massenanteilen ergeben sich dann in Kombination mit Gleichung (2):
Gleichung (4)
Gleichung (5)
Korrelation
Um die Ähnlichkeit von Spektren zu quantifizieren, wird häufig die Korrelation bzw. der Korrelationskoeffizient (r) verwendet, wie in Gleichung (6) dargestellt.
Gleichung (6)
r: Korrelationskoeffizient
EProbe,ν: Extinktion der Probe bei der Wellenzahl ν
EProbe,m: mittlere Extinktion im gesamten Wellenzahlintervall
ERef,ν: Extinktion der Referenz bei der Wellenzahl ν
ERef,m: mittlere Extinktion im gesamten Wellenzahlintervall
Im Rahmen von Qualitätskontrollen wird oftmals ein Korrelationskoeffizient von 0,95 als Grenzwert für die Akzeptanz von Chargen angesehen. Aus einem r von 0,95 kann jedoch nicht unmittelbar auf den Gehalt einer möglichen Verunreinigung geschlossen werden. Eine Übereinstimmung von 95 % bedeutet nicht, dass 5 % einer Verunreinigung in der Probe vorhanden sind. Zudem ist die Angabe des Wellenzahlintervalls entscheidend, was die Empfindlichkeit des Korrelationskoeffizienten anbetrifft. Am vorliegenden Beispiel soll dies einmal für den kompletten Wellenzahlbereich von 700-4000 cm-1 sowie für den zur Kalibration ausgewählten von 900-1200 cm-1 demonstriert werden.
Bei einem Silikonölgehalt von Null wird das Spektrum von Heptan mit sich selbst korreliert und liefert eine maximale Übereinstimmung von 100 % (r = 1). Mit steigendem Silikonölgehalt wird die Korrelation geringer, da sich die Spektren zunehmend voneinander unterscheiden. Diese Unterschiede fallen jedoch über einen Konzentrationsbereich bis 20 Gew.-% Silikonöl nicht so stark ins Gewicht, wenn der gesamte Wellenzahlbereich von 700-4000 cm-1 der Spektren zu Grunde gelegt wird (Abbildung 6). Wesentlich empfindlicher ist der Korrelationskoeffizient hingegen dann, wenn der Wellenzahlbereich auf 900-1200 cm-1 eingeschränkt wird, da in diesem die größten Veränderungen zu beobachten sind. Bemerkenswert hierbei ist, dass bereits bei der aus der Kalibration ermittelten analytischen Nachweisgrenze von ca. 2 Gew.-% Silikonöl der Kalibrationskoeffizient mit ca. 0,3 im eingeschränkten Wellenzahlbereich deutlich kleiner ist als im uneingeschränkten. Es kann also durchaus hilfreich sein, bei der Betrachtung von Korrelationskoeffizienten das Wellenzahlintervall zu variieren.
Abb.6: Korrelationskoeffizienten für IR-Spektren von Heptan mit
verschiedenen Silikonölgehalten für zwei verschiedene Wellenzahlintervalle
Linearkombination von IR-Spektren
In diesem Abschnitt soll untersucht werden, wie groß die Abweichungen zwischen gemessenen und berechneten Anteilen werden können, wenn man vereinfachend eine lineare Additivität der Extinktionswerte der Spektren in einem binären flüssigen Mischsystem annimmt. Hierzu wurde jeweils ein gemessenes Spektrum der Kalibrationsreihe bekannter Zusammensetzung als Summe der Spektren von Heptan und Silikonöl unbekannter Zusammensetzung aufgefasst. Mit Hilfe einer Fehlerquadratsummen-Minimierung wurden die jeweiligen Anteile an Heptan und Silikonöl bestimmt:
Gleichung (7)
EM: Extinktion der Mischung im gesamten Wellenzahlintervall
k: Skalierungsfaktor
wS: Anteil an Silikonöl
1-wS: Anteil an Heptan
ES: Extinktion von Silikonöl im gesamten Wellenzahlintervall
EH: Extinktion von Heptan im gesamten Wellenzahlintervall
Abbildung 7 zeigt das Ergebnis für eine Spektrenanpassung nach Gleichung 4 für eine 1:1-Mischung aus Silikonöl und Heptan. 40,4 % Silikonöl wurden berechnet, 50 % beträgt der Soll-Anteil.
Abb.7: Gemessenes ATR-IR-Spektrum für 50 Gew.-% Silikonöl in Heptan
im Vergleich zu dem nach Gln. 3 berechneten Spektrum.
Tab.1: Gegenüberstellung berechneter Gehalte an Silikonöl über eine Kalibration1
und über eine Linearkombination2 sowie die relativen Abweichungen
Fazit
Mit entsprechender Kalibrierung sind IR-ATR-Messungen ebenso verwendbar wie IR-Transmissionsmessungen in Küvetten mit definierter Schichtdicke. Korrelationsanalysen können sich als empfindliche Werkzeuge für das Aufspüren von Verunreinigungen erweisen, sofern die passenden Wellenzahlintervalle ausgewählt werden. Für halbquantitative Analysen binärer Gemische unbekannter Zusammensetzung stellt die beschriebene Linearkombination aus den jeweiligen IR-Spektren der Reinkomponenten eine interessante Möglichkeit dar, mit relativ geringem Aufwand einen guten Schätzwert der Zusammensetzung zu erhalten.
Literatur
- H. Günzler, H.-U. Gremlich, IR-Spektroskopie, Wiley VCH, 2003, 123 ff