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19.05.2024

22.06.2023

Ich habe eine Meinung!

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Ich habe eine Meinung
Ich habe eine Meinung! (Quelle: Pixabay [CCO])
Eine eigene Meinung haben zu dürfen und diese auch im Rahmen des Grundgesetzes äußern zu können, ist ein wesentliches Element einer freiheitlichen Demokratie wie Deutschland. Das unterscheidet sie von leider immer mehr autokratischen Regimen weltweit. Milliarden Menschen müssten uns eigentlich darum beneiden.

Aber auch hierzulande ist die Meinungsfreiheit bedroht, weil in vielen Bereichen oft nur noch zwei Antworten akzeptiert werden: Man ist für etwas oder man ist dagegen. Zwischentöne sind nicht erwünscht, obwohl es in der Realität selten die eine Wahrheit oder Antwort auf eine Frage gibt. Die lauteste Fraktion - oft die Minderheit - gewinnt immer öfter die Meinungshoheit in der breiten Masse.

Um zu einer eigenen Meinung zu gelangen, stehen uns eine schier unüberschaubare Zahl an Quellen zur Verfügung. Familie, Freunde, Bücher, Print-Medien, Radio, Fernsehen, Soziale Medien, Webseiten aller Art und seit neuestem auch KI-Anwendungen wie ChatGPT. Es sind eher zu viele als zu wenige.

Dieses Überangebot führt allerdings oft zu einer Überforderung, und da das menschliche Gehirn gerne im Energiesparmodus arbeitet, übernehmen wir gerne bereits ausformulierte Meinungen und Positionen von anderen. Das ist nicht weiter schlimm, wenn die übernommene Meinung auf Basis fundierter Daten und Fakten erfolgt und keine Fehlinterpretationen beinhaltet, wie es beispielsweise bei Statistiken oft der Fall ist.

So wie vor Gericht immer die Unschuldsvermutung gilt, habe ich mir angewöhnt, andere Meinungen, die ich höre, grundsätzlich zu hinterfragen, wenn sie mir nicht plausibel erscheinen. Oder nachzulesen, wer sie in welchem Kontext geäußert hat und ob dabei beispielsweise eigene Interessen die Objektivität zweifelhaft erscheinen lassen.

Das gilt natürlich sowohl für den, der eine Meinung äußert als auch für den, der sie hört und sie übernimmt oder vielleicht eine andere Meinung vertritt. Denn auch meine eigene Meinung ist durch meine Sozialisierung, Lebenserfahrung, Religion und viele andere Faktoren vielleicht nicht objektiv, möglicherweise sogar von Vorurteilen geprägt. Oder sie entspricht nicht der faktischen Realität. Hier lohnt sich oft ein Perspektivwechsel bzw. das Nachdenken, Diskutieren oder die Suche nach objektiven Fakten, die die eigene Meinung bestätigen oder widerlegen. Auch die Diskussion mit Menschen aus ganz anderen Gesellschaftskreisen erweitert oft den eigenen Horizont. Manchmal komme ich auch einfach zu keiner Meinung, übernehmen dann aber auch keine von anderen.

Leider werden immer mehr Menschen über Filterblasen - vorwiegend in Sozialen Medien - in ihren Ansichten in die Irre geführt. Denn, wenn eine Meinung dort salonfähig ist, dann muss sie außerhalb dieser Filterblasen nicht zwangsläufig der Mehrheitsmeinung entsprechen. Sie kann sogar faktisch falsch sein. Allerdings ist es inzwischen oft schwer bis unmöglich, die falsch oder nicht ausreichend Informierten von ihrem Standpunkt abzubringen

Bedauerlicherweise führen solche Effekte zu dem immer öfter beschriebenen Auseinanderdriften der Gesellschaft oder sogar dazu, dass man einen steigenden Prozentsatz der Bevölkerung abschreibt, weil es nutzlos erscheint, mit ihnen überhaupt noch zu diskutieren. Sie haben eine feste Meinung und sind vielleicht gar nicht fähig oder willens, diese einer kritischen Selbstreflexion zu unterziehen. Das geht aber nur solange gut, solang diese Gruppe nicht irgendwann die Mehrheit bildet, daher ist ein Gegensteuern im Interesse aller.

Naturwissenschaftlich geprägte Menschen haben hier vielleicht einen Vorteil, weil wir es gewohnt sind, uns im wissenschaftlichen Diskurs über Fakten unterhalten oder Messwerte interpretieren. Hypothesen müssen immer durch weitere Messungen belegt oder vielleicht auch widerlegt werden. Und wenn es neue Fakten gibt, müssen wir unsere Meinung an diese anpassen, obwohl uns das auch nicht immer leicht fällt. Das ist aber keine Schwäche, sondern der Kern wissenschaftlichen Arbeitens. Wir erinnern uns alle an die Corona-Zeit und die ständige Weiterentwicklung der Daten- und Faktenlage.

William Edwards Deming war ein US-amerikanischer Physiker, Statistiker und Pionier im Bereich des Qualitätsmanagements. Er hat das Thema in einem Satz treffend zusammengefasst:

Ohne Daten bist Du nur eine weitere Person mit einer Meinung.
William Edwards Deming (1900-1993)

» Mehr über William Edwards Deming

Autor:  

Dr. Torsten Beyer

Dr. Torsten Beyer


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