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19.05.2024

04.02.2021

Jeder möchte gerne in die Glaskugel schauen

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Manchmal kommt es anders
Oft kommt es anders (Pixabay [CCO])
Die meisten Menschen hassen Unsicherheiten im privaten wie im beruflichen Bereich und lieben im Gegenzug Prognosen aller Art. Gerade wir Deutschen legen unser Erspartes lieber bei Null- oder Negativzinsen aufs Sparbuch, als auch nur einen kleinen Teil in Anlagenformen anderer Art zu investieren, weil uns das alles zu unsicher ist. Chancen bewerten wir grundsätzlich geringer und gewichten alle Risiken stärker.

Als logische Konsequenz dieser "Vollkasko-Mentalität" lieben wir Prognosen, die die Zukunft vermeintlich ein bisschen vorhersagbarer machen und so unser Risiko scheinbar minimieren. Manche investieren sogar Geld für Wahrsager, andere vertrauen auf Horoskope und richten ihr Leben danach aus. Beides ist für einen Naturwissenschaftler nur schwer nachzuvollziehen, weil darin keine wissenschaftlich fundierte Basis zu erkennen ist.

Prognosen sind eigentlich nur dann seriös, wenn sichergestellt werden kann, dass sich die Rahmenbedingungen vom Zeitpunkt, als sie gestellt wurde, bis zu ihrem geplanten Eintreffen nicht wesentlich ändern. Nicht erst seit der Corona-Pandemie gelangt alles bisher Planbare ins Wanken und wir müssen uns ständig Fragen stellen, die bis vor einem Jahr undenkbar waren. Da ist jede Prognose ein Rettungsanker, der uns wieder mehr Planbarkeit im Privaten wie im Beruflichen verspricht. Leider sind viele davon nicht mehr als Kaffeesatzleserei, manche einfach nur Wunschträume.

"Corona ist im Sommer vorbei" war eine der Prognosen im letzten Frühjahr. "Mit den Erfahrungen des ersten Lockdowns werden Schulen und Kitas garantiert nicht mehr wegen Corona geschlossen" lag leider genauso daneben. Und "Wenn wir uns im November zusammenreißen, können wir alle ein unbeschwertes Weihnachtsfest mit der Familie feiern" war zwar vielleicht eine gute Motivation für das eigene konsequente Befolgen der AHAL-Regeln, stellte sich dann aber ebenso als Trugschluss heraus. Nun treten plötzlich auch noch Mutationen auf, die sich wahrscheinlich schneller verbreiten. So werden alle bisher schon sehr wackligen Prognosen hinfällig.

Warum? Weil sich zukünftige Entwicklungen mit Algorithmen, die immer auf vielen vereinfachten Annahmen aus der Gegenwart oder Vergangenheit beruhen, nur unzureichend beschreiben lassen. Es handelt sich quasi um eine Gleichung mit (zu) vielen Unbekannten, die kaum belastbare Vorhersagen erlaubt.

Auch jedes Unternehmen muss Umsatz- und Marktprognosen anstellen und zukünftigen Entwicklungen vielleicht vorgreifen, um sinnvolle Entscheidungen zu treffen, auch wenn das trotz sehr guter Marktkenntnis relativ schwierig ist. Wer hätte beispielsweise vor einem Jahr gedacht, dass Kühlschränke, die bis minus 90 Grad kühlen können, mal kurzfristig sehr gefragt sein werden? - Niemand! Wenn es kommt wie vermutet, dann hatte man den "richtigen Riecher", und wenn es doch anders kommt, hat sich das "unternehmerische Risiko" nicht ausgezahlt.

Unternehmen, die kalkulierte Risiken eingehen (können), werden wahrscheinlich stärker wachsen als die Vorsichtigen. Aber auch das ist nur eine Prognose, die insgesamt zutreffen kann, aber für den Einzelfall noch lange nicht eintreten muss. Ein Bekannter hat das mal so formuliert: "Wenn du Pech hast, dann bist du halt nur am Rand der Gaußkurve".

Es wäre schon hilfreich, wenn jede Prognose mit einem Fehlerintervall im zeitlichen Verlauf versehen wäre. Oder die zugrunde liegenden Annahmen als Anhang beigefügt würden. Denn dann würden viele wahrscheinlich gar nicht veröffentlicht oder direkt als unseriös oder wertlos entlarvt. In unserer sehr zur Vereinfachung neigenden Welt, greifen gerade Politiker und Medien gerne dann Prognosen auf, wenn diese den Wünschen der potenziellen Wähler bzw. Leser nahekommen. Allerdings sind seriöse Prognosen leider kein Wunschkonzert, sondern harte Arbeit und manchmal schlicht und einfach nicht möglich. Oder man sagt es - obwohl es langweilig und frustrierend klingt - einfach wie Samuel Langhorne Clemens, besser bekannt unter seinem Künstlername Mark Twain:

Prognosen sind schwierig, vor allem, wenn sie die Zukunft betreffen.
Mark Twain (1835-1910)

» Mark Twain: Zitate, die zum Nachdenken anregen

Autor:  

Dr. Torsten Beyer

Dr. Torsten Beyer


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