Analytik NEWS
Das Online-Labormagazin
19.05.2024

28.03.2018

Wie weit darf sich Wissenschaft für Lobbyarbeit einspannen lassen?

Teilen:


Wissenschaftler an Universitäten und Forschungseinrichtungen sind heutzutage immer mehr auf "Drittmittel" aus der Industrie angewiesen, um überhaupt noch sinnvoll aktuelle Forschung betreiben zu können, Geräte anzuschaffen oder wissenschaftliche Mitarbeiter zu bezahlen, weil staatliche Mittel in den letzten Jahrzehnten immer weiter zurückgefahren wurden. Auch der Wettstreit um die besten Studenten führt dazu, dass die apparative und finanzielle Ausstattung der Institute immer wichtigen wird.

Die größere Praxisnähe solcher Projekte hat sicherlich einen positiven Effekt für die Ausbildung. Wenn ich an meine Universitätszeit in den 90er Jahren zurückdenke, so waren zu viele Arbeiten eher praxisfern oder nur von akademischem Interesse. Die fehlende Praxisrelevanz kann sich später als Nachteil bei der Jobsuche der Absolventen entpuppen.

Die Kehrseite industrieller Forschungsförderung zeigt sich beispielsweise beim aktuellen Dieselskandal. Hellhörig sollte man schon werden, wenn konkurrierende Autohersteller eine Lobbyorganisation mit dem Namen "Europäischen Forschungsvereinigung für Umwelt und Gesundheit im Transportsektor (EUGT)" gründen, die wissenschaftliche Belege dafür liefern soll, dass die Schadstoffbelastung durch modernere Abgastechniken stark gesunken ist.

Dafür wurde unter anderem ein Forschungsauftrag an die RWTH Aachen vergeben, die Versuche an Affen und auch an Menschen durchführte, um die NOX-Belastung am Arbeitsplatz zu untersuchen.

Die Ergebnisse wurden dann für die Automobilindustrie "zweckentfremdet", um es vorsichtig zu formulieren. Denn NOX im Büro oder in Produktionshallen hat nur entfernt etwas mit der schlechten Luft in manchen Innenstädten zu tun. Angeblich wusste man bei der RWTH Aachen davon nichts, aber die Aufarbeitung der Vorgänge ist aktuell noch im vollen Gange.

Leider ist dieses Beispiel bei weitem kein Einzelfall. Oft werden Studien von der Industrie in Auftrag gegeben, um neue Produkte überhaupt erst zu etablieren oder die schädliche Wirkungen bereits entwickelter kleinzureden. Denn es geht in der Regel um wirtschaftliche Interessen und weniger um neue Erkenntnisse für die Grundlagenforschung.

Daher muss sich die Forschung auch immer dem folgenden Vorwurf stellen und sollte vielleicht manche auch noch so lukrativ klingenden Fördermittel ablehnen, wenn der Zweck zweifelhaft erscheint:

Wo Geld im Spiel ist, lässt sich Wissenschaft willig von bestimmten Interessen vor den Karren spannen.
Thom Renzie (*1959)

Aber das wird bei den finanziellen Zwängen in der heutigen Zeit wahrscheinlich ein frommer Wunsch bleiben ...

» Europäische Forschungsvereinigung für Umwelt und Gesundheit im Transportsektor (EUGT)

» RWTH Aachen verteidigt Stickoxid-Test an Menschen

» Aphorismen-Bücher vom Thom Renzie

Autor:  

Dr. Torsten Beyer

Dr. Torsten Beyer


» Kommentieren