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14.05.2024

08.03.2021

Virus-Varianten in der Pandemie schneller aufspüren

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Forschende weltweit fordern eine bessere Integration von Virusgenetik, Bioinformatik und Gesundheitswesen, um Pandemien besser bekämpfen zu können. Zu den Vorteilen aus Schweizer Sicht äußern sich in der Fachzeitschrift Nature Emma Hodcroft der Universität Bern und vom SIB Swiss Institute of Bioinformatics, und Christophe Dessimoz von der Universität Lausanne und vom SIB.

"Was Forschende in einem Jahr seit der Entdeckung eines brandneuen Virus erreicht haben, ist wirklich bemerkenswert", sagt Emma Hodcroft vom Institut für Sozial- und Präventivmedizin (ISPM) der Universität Bern, Erstautorin des Kommentars.

"Aber die Werkzeuge, die Forschende einsetzen um zu untersuchen, wie SARS-CoV-2 sich entwickelt und ausbreitet, waren nie für die einzigartigen Belastungen oder Datenmengen dieser Pandemie ausgelegt."

SARS-CoV-2 ist heute einer der am meisten sequenzierten Erreger aller Zeiten, mit über 600.000 Vollgenom-Sequenzen, die seit Beginn der Pandemie generiert wurden, und über 5.000 neuen Sequenzen, die jeden Tag aus der ganzen Welt eintreffen. Die heute verwendeten Analyse- und Visualisierungstools (einschließlich Nextstrain, das von Richard Nehers Gruppe am SIB und der Universität Basel mitentwickelt wurde) waren jedoch nie für die Menge und Geschwindigkeit der heute generierten Sequenzen vorgesehen - ebensowenig, dass sie in einem solchen Ausmaß für Maßnahmen des öffentlichen Gesundheitswesens herangezogen werden.

"Überall auf der Welt beruht die genomische Überwachung auf der Initiative von Forschenden, um wesentliche Antworten zu finden. Die Entscheidungsfindung im Gesundheitswesen würde von einem nachhaltigeren Rahmen für die Zusammenarbeit profitieren", sagt Christophe Dessimoz vom SIB und der Universität Lausanne.

Was eine verbesserte Sequenzierung ermöglichen würde

Die genetischen Sequenzen von SARS-CoV-2 enthalten wertvolle Informationen, um effektive Pandemiemaßnahmen umzusetzen und dem Virus einen Schritt voraus zu bleiben. Mutationen in verschiedene Probe zu vergleichen, ermöglicht es Forschenden zum Beispiel, die Übertragung des Virus zu verfolgen - und hilft dabei, Super-Spreading-Ereignisse und die internationale Ausbreitung zu identifizieren.

Im Moment ist es jedoch schwierig, diese genetischen Informationen mit anderen Schlüsselvariablen zu kombinieren - etwa wer an einem Ereignis teilgenommen hat und wann die Symptome aufgetreten sind - was dazu beitragen könnte, diese Methoden noch aussagekräftiger zu machen.

Der "R-Wert" hat sich im letzten Jahr von einem wissenschaftlichen Konzept zu einem Alltagsbegriff entwickelt - er misst die durchschnittliche Anzahl Personen, die eine infizierte Person ansteckt. Auch hier können Sequenzierungen helfen, importierte Fälle von lokalen Übertragungen zu unterscheiden. Dies ermöglicht eine genauere Schätzung, erfordert aber ein hohes Maß an Sequenzierungen und komplexe Analysen, die derzeit nicht in großem Umfang durchgeführt werden.

Letztlich ist die Sequenzierung die einzige Möglichkeit, die vielen Mutationen, die bei SARS-CoV-2 auftreten, zu identifizieren und zu verfolgen. Während Mutationen zum Virus gehören, müssen die Forschenden wissen, welche Variationen harmlos sind und welche die Übertragbarkeit des Virus oder den klinischen Verlauf verändern könnten. Die Kombination von Sequenzierung, Laborarbeit und computergestützten Vorhersagen könnte ein besseres Verständnis der Auswirkungen von Mutationen ermöglichen, aber es gibt kaum einen Rahmen, der die Zusammenarbeit dieser verschiedenen Fachgebiete unterstützt.

"Die Daten zum Virus - Sequenzen und zugehörige Metadaten - müssen dank stabiler Infrastrukturen, die mit den Prinzipien von Open Data kompatibel sind, ermittelt, gesammelt und harmonisiert werden, um den wissenschaftlichen Austausch zu erleichtern", sagt Christophe Dessimoz von der Universität Lausanne und SIB, Letztautor des Kommentars.

Vorteile für die Schweiz

"In der Schweiz könnte die Bevölkerung von einer systematischeren und repräsentativeren Sequenzierung profitieren, zum Beispiel durch besseres Contact Tracing, gezielte Isolierung und Quarantäne von kleineren Regionen, und der Steuerung Schulschließungen und -öffnungen basierend auf dem Auftreten bestimmter Varianten", erklärt Emma Hodcroft. Auch die Harmonisierung von Gesundheitsdaten ist ein kritisches Thema. Die Schweiz unternimmt bereits viele Anstrengungen auf nationaler Ebene durch das Swiss Personalized Health Network (SPHN).

Die Forschenden sind überzeugt, dass das Potenzial der Schweiz in Bezug auf Expertise und Infrastruktur nur darauf wartet, zum Wohle der öffentlichen Gesundheit genutzt zu werden. "Die Tools sind vorhanden, die Forschenden haben sich selbst organisiert und den ersten Schritt getan - aber um diese Bemühungen aufrechtzuerhalten und Forschung und Gesundheitswesen zusammenzubringen, sind wir auf eine nachhaltige öffentliche Finanzierung angewiesen", sagt Christophe Dessimoz.

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Quelle: Universität Bern