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28.04.2024

14.03.2024

Vom Anthropozän ins Symbiozän - Ist die Welt noch zu retten?

Prof. Volker Wiskamp

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Goyas Bild "Duell mit Knüppel" (Bild 1) zeigt, wie zwei Männer sich streiten. Vermutlich um ihren Besitz. "Das ist mein Land!", schreit der eine. "Nein, das ist mein Land!", faucht der andere. Und so wird der Mensch dem Menschen zum Wolf.

Um das ständige Hauen und Stechen zu beenden, hat der englische Philosoph Thomas Hobbes (1588-1679) einen Gesellschaftsvertrag vorgeschlagen, dem sich alle Menschen unterwerfen sollten, in dem insbesondere geregelt sei, wem welches Land gehöre, dass der Besitzer mit seinem Land dann machen dürfe, was er wolle, und dass alle anderen dies zu akzeptieren hätten. Dann herrsche Frieden.

Vermutlich ist Hobbes' Idee zu kurz gegriffen, worauf der französische Philosoph Michel Serres (1930-2019) mit Bezug auf Goyas Bild hinweist. Dort gibt es nämlich einen dritten Akteur - die Natur. Die Kämpfenden stehen bis zu den Knien im Schlamm, und je heftiger sie streiten, desto tiefer versinken sie. Die Natur lässt es sich nicht länger gefallen, dass die Menschen sie als ihr Eigentum betrachten und ausbeuten, und verschlingt sie deshalb. Die Natur braucht uns Menschen nicht, während wir sie sehr wohl brauchen. Und die Natur ist stärker als wir, viel stärker.

Gemälde von Francisco de Goya
Bild1: "Duell mit Knüppeln"
Gemälde von Francisco de Goya.
Wikipedia[CC0]
Deshalb möchte Michel Serres den Gesellschaftsvertrag von Thomas Hobbes als Friedensvertrag für die Menschen zwar grundsätzlich beibehalten, aber zu einem Naturvertrag erweitern, in dem wir Menschen uns als Teil der Natur betrachten und uns dazu verpflichten, der Natur nur so viele Güter zu entnehmen, wie nachwachsen. Das Zeitalter des Anthropozäns, in dem es ungeachtet der Umwelt egoistisch um das Wohl des Menschen und die entsprechende Gestaltung der Welt geht, hätte dann ein Ende, und das Zeitalter des Symbiozäns würde anbrechen, in dem Menschen und Natur sich gegenseitig unterstützen: der Mensch als Bewahrer und Pfleger der Natur, und die Natur als Lebensspender für jeden einzelnen Menschen.

1958 startete der US-amerikanische Klimaforscher Charles Keeling (1928-2005) eine bis heute andauernde Untersuchung: die tägliche Messung der Konzentration an Kohlenstoffdioxid in der Atmosphäre (Bild 2). Es zeigt sich, dass die Erde ein atmendes Biosystem ist, das Fieber hat.

Fieberkurve der Erde
Bild2: CO2-Gehalt in der Atmosphäre - jährliche Schwankung und Anstieg seit 1958. Wikipedia [CC BY-SA]

Wenn der Mai gekommen ist und die Bäume, von denen es auf der Nordhalbkugel viel mehr gibt als auf der Südhalbkugel, ausschlagen, kommt die vom Sonnenlicht angetriebene Fotosynthese in Fahrt. Die Blätter nehmen das CO2 aus der Luft auf und verbinden es mit Wasser zu energiereichen Kohlenhydraten, den Hauptbestandteilen unserer Nahrung, und Sauerstoff, den wir zum Atmen brauchen. Die Sonne schickt keine Rechnung titelt der Autor Franz Alt in seinem Bestseller über den Weg zur Energiewende. Gemeinsam mit Pflanzen, den Macher des Lebens, wie Emanuele Coccia im Buch "Die Wurzeln der Welt" schreibt, sorgt sie dafür, dass die CO2-Konzentration in der Luft sinkt - bis zum Oktober, wenn die Sonneneinstrahlung geringer wird und die Bäume ihre Blätter abwerfen, um zu überwintern. Dann ist die CO2-Konzentration am jährlichen Minimum angelangt, steigt aber wieder, weil jetzt von den Lebewesen auf der Erde die in der Sommerzeit gespeicherte Energie wieder verbraucht und dabei CO2 in die Atmosphäre zurückgegeben wird. So "atmet" das Biosystem Erde im Sommer CO2 ein und im Winter wieder aus. Es resultiert ein geschlossener Kreislauf, Jahr für Jahr.

Das CO2 ist nicht nur eine chemische Verbindung im Stoffwechsel der Erde, sondern regelt auch deren Temperatur. Heute hat die Erde Fieber, das bedrohlich steigt. Denn wir Menschen haben den CO2-Gehalt in den letzten 200 Jahren zu stark und zu schnell in die Höhe getrieben, sodass es immer wärmer geworden ist. Jetzt kollabieren Teile des Ökosystems Erde: Eisberge schmelzen, Wälder brennen, die Wüste wächst, Krankheiten breiten sich aus ...

Warum haben die Menschen das verursacht? Nun, zunächst ist die Weltbevölkerung exponentiell angestiegen und verbraucht einfach mehr Energie, die vorwiegend durch das Verbrennen von Kohle, Erdöl und Erdgas gewonnen wurde und immer noch wird. Hinzu kommt die Gier der Menschen, immer noch mehr haben zu wollen, selbst wenn sie eigentlich schon genug besitzen. Höher, weiter, schneller, mehr - das sind die Richtlinien einer Konsumgesellschaft. Sehr zu Lasten von natürlichen Ressourcen, die restlos ausgebeutet werden, verbunden mit zunehmender Umweltverschmutzung, Artensterben, Lebensmittelknappheit und Migrationsbewegungen bis hin zu Kriegen. Das alles wurde bereits 1972 im ersten Bericht an den Club of Rome "Die Grenzen des Wachstums" vorausgesagt (Bild 3). Der heute 81jährige Projektleiter Dennis Meadows (*1942) antwortet auf die Frage, ob die Welt noch zu retten sei, mit einem entschiedenen "Nein" und begründet es damit, dass die Menschheit schlicht und einfach mindestens 30 Jahre verschlafen habe, um ihre so extrem energieintensive Wirtschaft auf Nachhaltigkeit umzustellen.

Die Grenzen des Wachstums
Bild3: Das Weltmodell in "Die Grenzen des Wachstums" zeigt die Entwicklung von Bevölkerungsgröße, Ressourcen, Nahrungsmitteln, Industrieproduktion und Umweltverschmutzung von 1900 bis 1972 und prognostiziert die Entwicklung bis 2100. Wikipedia[CC-BY-NC]

Solarkraftwerk
Bild4: Solarkraftwerk. Wikipedia[CC0]
Es fällt schwer, diesen Pessimismus nicht zu teilen. Doch die technischen Möglichkeiten, die Erderwärmung aufzuhalten, existieren! Man muss sie nur mit großer Geschwindigkeit umsetzen; es wird ein Rennen gegen die Zeit. Was ist technisch zu tun? Von der Natur lernen und die Fotosynthese kopieren. Das bedeutet, bevorzugt in Wüstengebieten, wo es intensive und dauerhafte Sonneneinstrahlung gibt und wo zudem viel Platz ist und keine Ökosysteme gefährdet werden, wirklich gigantische Solarkraftwerke (Bild 4) und/oder Fotovoltaik-Anlagen (Bild 5) aufzubauen, um damit grünen elektrischen Strom zu erzeugen. Dann kann man Elektrizitätswerke, in denen Kohle, Gas oder Öl verbrannt werden, weitgehend vergessen. Mit dem Ökostrom kann man dann - ähnlich wie das in der ersten Phase der Fotosynthese geschieht - Wasser elektrolytisch in Sauerstoff und Wasserstoff zerlegen.

Fotovoltaik Feld
Bild 5: Fotovoltaik-Anlage. pexels[CC0]
Diese Technik ist ausgereift. Und der Wasserstoff wird der Brennstoff der Zukunft sein. Wenn er verbrennt, wird viel Energie freigesetzt - die Energie, die ursprünglich die Sonne geliefert hat, wobei als chemisches Endprodukt nur harmloses Wasser anfällt, aber kein CO2 wie bei der Verbrennung fossiler Energieträger. Warum suchen Wissenschaftler nach Wasser auf anderen Planeten? Weil Wasser eine Voraussetzung für die Entstehung von Leben ist. Wasser ist der wichtigste chemische Naturstoff, und das Sonnenlicht ist die wichtigste natürliche Energiequelle. Also bilden Wasser und Sonne die Basis für eine gelingende Symbiose von uns Menschen und der Natur.

Kolibri
Bild6: Ein kleiner Kolibri. Wikipedia [CC-BY-SA]
Doch technische Lösungen alleine reichen nicht aus, damit das Zeitalter des Symbiozäns beginnt. Zusätzlich müssen wir uns alle so verhalten wie der kleine Kolibri (Bild 6). Kennen Sie die Geschichte? Der Wald brennt. Die Tiere sind geflüchtet und betrachten aus der Distanz ohnmächtig die Katastrophe. Nur der kleine Kolibri ist aktiv. Er fliegt zu einer Wasserquelle, nimmt in seinem kleinen Schnabel einen kleinen Tropfen Wasser auf, fliegt über das Feuer und lässt der Tropfen fallen. Das wiederholt er pausenlos. Die anderen Tiere verspotten ihn; die kleine Wassermenge bewirke doch gar nichts. Worauf der kleine Kolibri antwortet: "Ich tue nur das, was ich kann."


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