08.09.2022
Der "Shape-Factor": Wie kann man die Form eines Makromoleküls oder eines Nanopartikels in Lösung bestimmen?
Dr. Gerhard Heinzmann , Alina Heinzmann, Sophia Heinzmann
Es gibt viele analytische Methoden, mit denen sowohl das Molekulargewicht eines Makromoleküls als auch dessen Größe bestimmt werden können. Am besten bekannt ist sicherlich die Gelpermationschromatographie mit Dreifachdetektion.
Auch die Größenbestimmung von Nanopartikeln ist mit etablierten Techniken wie der statischen Mehrwinkel-Lichtstreuung und der dynamischen Lichtstreuung problemlos möglich; ggf. kann diesen Lichtstreutechniken zur Auftrennung der Nanopartikel ein Feld-Fluss Fraktionierungssystem vorgeschaltet werden. Das erleichtert die Auswertung der Daten, da monodisperse Proben mit beiden Lichtstreutechniken sehr viel einfacher ausgewertet werden können, als dies für polydisperse Proben möglich ist.
Fragt man allerdings nach der Form von Makromolekülen und Nanopartikeln in Lösung, dann sind die einsetzbaren Methoden wesentlich begrenzter. Natürlich bieten sich optische Methoden wie die Licht- und Elektronenmikroskopie an, dies beschränkt sich aber, vor allem im Fall der Lichtmikroskopie, auf eher größere Nanopartikel; Makromoleküle sind in der Regel zu klein, um mit diesen Methoden abgebildet werden zu können. Außerdem wird im Fall der Elektronenmikroskopie im Vakuum gearbeitet, und nicht in Lösung.
Eine weitere Einschränkung dieser Methoden ist die Tatsache, dass man damit nur einige wenige Nanopartikel erfassen kann, und somit eine Aussage über alle Teilchen oder Moleküle in der Probe nur begrenzt möglich ist. Eine interessante Technik zur Bestimmung der Form eines Makromoleküls oder Nanopartikels ist die Messung des sogenannten "Shape Factors", im Deutschen meist als "Formfaktor" bezeichnet.
Dieser Formfaktor resultiert aus dem Verhältnis des Hydrodynamischen Radius eines Makromoleküls oder Nanopartikels und dessen Trägheitsradius. Er beschreibt die Form des Makromoleküls oder Nanopartikels in Lösung.
- Abb.1: Schematische Darstellung der Berech-
nung des Trägheitsradius eines Makromoleküls
Trägheitsradius und Hydrodynamischer Radius
In der Polymerphysik ist der Trägheitsradius Rg ähnlich definiert wie das Trägheitsmoment (Abbildung 1). Besteht ein Makromolekül aus N gleichartigen Bausteinen mit Ortsvektoren r dann ist der Trägheitsradius definiert als der mittlere quadratische Abstand der Bausteine zum Schwerpunkt des Makromoleküls:
Formen von Makromolekülen und Nanopartikeln
Makromoleküle und Nanopartikel können sehr unterschiedliche Formen in Lösung ausbilden. Die bekannteste und am weitesten verbreitete Form von Makromolekülen in Lösung ist das Gaußsche Knäuel, auch als ideales Knäuel bezeichnet. Dieses Knäuel ist vom Lösungsmittel durchspült.
Im Fall des Gaußschen Knäuels ist der Trägheitsradius größer als der Hydrodynamische Radius. Bildlich gesprochen kann man sagen, dass im Fall des Trägheitsradius Rg in etwa die Hälfte der Masse des Makromoleküls außerhalb des Rg zu finden ist, während die andere Hälfte der Masse innerhalb des Rg liegt. Im Fall des Hydrodynamischen Radius RH wird hingegen das Molekül quasi zu einer festen, undurchspülten Kugel zusammengedrückt, die dieselben Diffusionseigenschaften besitzt, wie das vom Lösungsmittel durchspülte Makromolekül.
Makromoleküle können aber auch völlig andere molekulare Formen ausbilden; so ist z. B. das vom Erbgut her bekannte DNA-Molekül ein bekanntes Beispiel für ein stäbchenförmiges Molekül, ebenso wie die Hyaluronsäure. Auch scheibenförmige Molekülformen sind bekannt. In allen diesen Fällen beschreiben sowohl der Trägheitsradius wie auch der Hydrodynamische Radius weder die Länge dieser Moleküle noch deren Dicke, sondern sie bilden einen Mittelwert zwischen beiden, aus physikalisch-mathematischen Gründen allerdings einen deutlich unterschiedlichen Mittelwert. Es gibt ausführliche Arbeiten, die sich mathematisch mit der Berechnung der Größen von Makromolekülen befassen [1].
Im Fall von Nanopartikeln ist die bekannteste und einfachste Form die der undurchspülten Kugel, im Englischen als "Sphere" oder auch "Hard Sphere" bezeichnet. Ein bekanntes Beispiel für kugelförmige Nanopartikel sind in wässriger Lösung dispergierte Latexteilchen. In diesem Fall ist, anders als bei Makromolekülen, der Hydrodynamische Radius RH größer als der Trägheitsradius Rg. Für kugelförmige Nanopartikel gilt die Beziehung:
Der Trägheitsradius kann mit der statischen Mehrwinkel-Lichtstreuung gemessen werden; der Hydrodynamische Radius wird mit der dynamischen Lichtstreuung gemessen.
Statische Mehrwinkel-Lichtstreuung und Dynamische Lichtstreuung
Im Fall der statischen Mehrwinkel-Lichtstreuung wird das an einer Probe gestreute Licht bei mehreren Messwinkeln gemessen. Sind die Makromoleküle oder Nanopartikel größer als 1/20 der Wellenlänge des verwendeten Laserlichtes, dann streuen sie das Licht verstärkt in Vorwärtsrichtung, also in Richtung des messtechnisch nicht erfassbaren Winkels Null Grad (Abbildung 2).
Abb.2: Rayleigh-Streulichtverteilung bei kleinen und bei großen Makromolekülen und Nanopartikeln
Abb.3: Bestimmung des Trägheitsradius eines Makromoleküls oder Nanopartikels aus der Anfangssteigung der Winkelabhängigkeit des gestreuten Lichtes beim Winkel Null Grad
Aus dem Diffusionskoeffizienten Dt kann nach der Stokes-Einstein-Gleichung der hydrodynamische Radius RH einer Probe berechnet werden:
T = Temperatur
η = Viskosität des Lösungsmittels
RH = hydrodynamischer Radius
Der "Shape Factor"-Bestimmung und Interpretation
Man kann nun mit einem Gelpermeationschromatographiesystem und mit einem Feld-Fluss Fraktionierungssystem zunächst eine makromolekulare oder nanopartikuläre Probe nach deren Molekulargewicht und nach deren Größe auftrennen, und dann sowohl den Trägheitsradius der Probe mit der statischen Mehrwinkel-Lichtstreuung wie auch den Hydrodynamischen Radius mit der Dynamischen Lichtstreuung messen. Werden beide Methoden online, also im Durchfluss, verwendet, dann kann man die beiden Radien über dem Elutionsvolumen der Probe auftragen. Abbildung 4 zeigt das Resultat für eine Auftrennung einer nanopartikulären Probe mit der Methode der Feld-Fluss Fraktionierung.
Verlaufen die beiden Radien, wie in Abbildung 4 zu sehen ist, in einem konstanten Abstand zueinander, und weist das Verhältnis von Rg zu RH einen Wert von 0,775 auf, dann deutet dies darauf hin, dass in der Probe, unabhängig von der Größe, durchgehend kugelförmige Nanopartikel in Lösung vorhanden sind. Wenn sich die beiden Radienverläufe aber annähern oder gar kreuzen, wie in Abbildung 5 zu sehen ist, dann bedeutet dies, dass die Probe strukturell inhomogen ist, es befinden sich je nach Größe unterschiedliche Partikelformen darin.
Abb.4: Auftragung des Hydrodynamischen Radius (durchgezogene Linie) und des Trägheitsradius (gestrichelte Linie) einer nanopartikulären Probe über dem Elutionsvolumen; die Probe ist strukturell einheitlich
Abb.5: Auftragung des Hydrodynamischen Radius (durchgezogene Linie) und des Trägheitsradius (gestrichelte Linie) einer nanopartikulären Probe über dem Elutionsvolumen; die Probe ist strukturell inhomogen
Fazit
Neben den Molekulargewichten und Größen von Makromolekülen und Nanopartikeln ist oft auch die Form der Moleküle und Partikel von Interesse. Allerdings sagen die Größen, die mit der statischen Mehrwinkel-Lichtstreuung und der Dynamischen Lichtstreuung gemessen werden können, zunächst nichts über die Form der Moleküle und Partikel aus. Sowohl der Trägheitsradius, der aus der statischen Mehrwinkel-Lichtstreuung resultiert, wie auch der Hydrodynamische Radius, der aus der Dynamischen Lichtstreuung resultiert, sind abstrahierte Radien, die weder die Länge noch die Breite eines Moleküls oder Partikels beschreiben, sondern einen Mittelwert daraus abbilden. Da diese Mittelwerte aufgrund der unterschiedlichen physikalischen Definitionen der beiden Radien aber voneinander abweichen, können aus dem Verhältnis der beiden Radien Rückschlüsse auf die Form der untersuchten Moleküle und Nanopartikel gezogen werden. Das Verhältnis der Radien wird als "Shape-Factor" bezeichnet, im Deutschen verwendet man den Begriff "Formfaktor".
Literatur
- Stephen E. Harding, "A General Method for Modelling Macromolecular Shape in Solution", Biophysical Journal, Volume 51, (1987), 673-680