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27.04.2024

08.01.2024

Mit Kryo-Elektronentomographie das Innenleben gefährlicher Bakterien untersuchen

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Acinetobacter baumannii, so heißt einer der gefährlichsten Krankenhauskeime. Das Bakterium greift besonders gerne Menschen mit geschwächtem Immunsystem an und hat gegen viele Antibiotika Resistenzen aufgebaut. Was ihm gelang, weil es Efflux-Pumpen besitzt. Die sind unter anderem dafür zuständig, Antibiotika aus der Zelle zu pumpen - was die Bildung von Resistenzen begünstigt.

Wie sie im Detail aussehen, zeigt eine Bildaufnahme der Acinetobacter baumannii-Zellhülle. Darauf sind die Pumpen zu erkennen, die in ihrer Form an die Korkverschlüsse von Weinflaschen erinnern. Deutlich erkennbar sind auch weitere Strukturen: die Ribosomen, die Adhäsionsproteine, die Membranproteine und die Membranen. "Diese 3-D-Rekonstruktion haben wir mit Kryo-Elektronentomographie angefertigt", sagt Achilleas Frangakis vom Institut für Biophysik.

"Sie zeigt repräsentativ die Detailtiefe und Komplexität, die dieses bildgebende Verfahren möglich macht." Kryo-Elektronentomographie, kurz KryoET, wird zur Darstellung von einzelnen Zellen, Gewebesegmenten oder Organellen mit einer Auflösung im Sub-Nanometerbereich benutzt. Dabei werden viele einzelne 2-D-Aufnahmen schockgefrorener Proben zu einem 3-D-Bild zusammengesetzt. Die darzustellenden Proteine müssen vorab nicht isoliert oder gereinigt werden wie bei anderen Methoden, Einzelpartikel-Kryo-Elektronenmikroskopie oder Röntgenkristallographie. "Bei KryoET bleibt alles unverändert. So können wir die molekulare Architektur eines einzelnen Proteins sichtbar machen -, und zwar während es arbeitet."

Die Schnappschüsse aus dem Zellinnern sind wissenschaftlich sehr nützlich. Frangakis untersucht damit speziell Zell-Zell-Kontakte, jene Regionen, in denen einzelne Zellen miteinander interagieren. "Es ist aus zwei Gründen schwierig, sie abzubilden. Wegen der geringen Größe der Proteinbausteine und wegen ihrer Flexibilität. Die brauchen sie, um zum Beispiel die Wundheilung schnell und effektiv voranzutreiben. Wir haben es also mit sehr kleinen, sehr dynamischen Strukturen zu tun. Die Herausforderung besteht darin, bei quasilebendigen Proben, die natürlicherweise unterschiedliche Formen annehmen, eine atomare Auflösung zu bekommen."

Auch Bakterien haben Zell-Zell-Kontakte, und auf die konzentriert sich Frangakis. Seine "Haustiere" sind Mykoplasmen, die Infektionen der Atemwege oder des Genitaltrakts verursachen. Diese Krankheitserreger besitzen keine Zellwände, was ein Problem ist, weil viele Antibiotika Bakterien abtöten, indem sie die Zellwände angreifen. Mithilfe von KryoET konnte der Forscher schon das Schlüsselprotein P116 identifizieren. "Es ist für die lebensnotwendige Versorgung der Mykoplasmen mit Cholesterin und Lipiden verantwortlich, welche sie den infizierten Wirtszellen entziehen."

Aktuell testet Frangakis P116 als mögliches Transportmittel für hydrophobe pharmazeutische Wirkstoffe in menschliche Zellen, die bisher schwer an ihren Wirkungsort zu transportieren waren. Ein weiteres laufendes Projekt: Beim französisch-deutschen Effort-Konsortium arbeitet er an der Entwicklung von Hemmstoffen für die Efflux-Pumpen, mit denen sich viele Bakterien - nicht nur Acinetobacter baumannii - Antibiotika vom Leib halten.

Was der Forscher beim SCALE-Projekt erreichen möchte? "Wir haben es in der Struktur- und Zellbiologie mit einem extrem komplexen Netzwerk von dynamischen Wechselwirkungen zu tun. Um diese analysieren zu können, entwickeln wir einen digitalen Zwilling der echten subzellulären Strukturen." Deren Verhalten lässt sich dann virtuell simulieren und durch Einsatz von Maschinellem Lernen analysieren. "Der Zwilling wird unser Verständnis der Interaktionen zwischen den Zellen revolutionieren", hofft Frangakis.

Er findet den interdisziplinären Ansatz von SCALE gut, welcher die Forschung bei der quantitativen Beschreibung subzellulärer Architekturen weiterbringe. Zu loben sei auch die "umfassende Unterstützung" sowohl vom Präsidium beider beteiligter Max-Planck-Institute als auch der Fachbereiche FB14 Biochemie, Chemie und Pharmazie und FB15 Biowissenschaften der Goethe-Universität Frankfurt.

Verknüpfungen und Zusammenhänge erkennen

Die Bioinformatikerin Kathi Zarnack analysiert Zellen mithilfe des Multiomics-Ansatzes. Die Proteinbiosynthese, also der Weg vom Gen zum Protein, ist in zwei Phasen aufgeteilt. Bei der Transkription wird von der doppelsträngigen DNA eine einzelsträngige Kopie produziert, die mRNA. Diese transportiert die genetischen Informationen vom Zellkern ins Zytoplasma, wo die Translation an den Ribosomen erfolgt: die Übersetzung der gespeicherten Informationen in ein Protein.

"Die mRNA dient aber nicht nur als reines Botenmolekül", so die Bioinformatikerin Kathi Zarnack, Leiterin der Arbeitsgruppe RNA-Bioinformatik am Buchmann Institut für Molekulare Lebenswissenschaften. An der RNA findet unglaublich viel Regulation statt, dort werden wichtige Entscheidungen getroffen. Ein zentraler Akteur: die RNA-Bindeproteine. "Sie sind die ganze Zeit dabei und fahren schon während des Kopiervorgangs auf der Transkriptionsmaschinerie mit, um direkt auf die RNA überzuspringen, wenn diese aus der Polymerase herauskommt. Dann entscheiden sie, was die RNA macht, wo sie innerhalb der Zelle hingeht, wie stabil sie ist, welche Funktion sie ausübt."

Funktionieren die Allrounder nicht richtig, kann es zu Erkrankungen kommen, zu Krebs oder neurodegenerativen Krankheiten wie Alzheimer und ALS. Umso wichtiger, die regulatorischen Mechanismen zu entschlüsseln, an denen die RNA-Bindeproteine beteiligt sind. Darin liegt Zarnacks Forschungsschwerpunkt. Der Datenanalyseansatz, den sie verfolgt, nennt sich Multi-Omics-Analyse. In solchen Datensätzen wird jeweils der gesamte Pool einer Molekülart gemessen, bei Proteomics alle Proteine in der Zelle, bei Transkriptomics alle RNA-Moleküle und so weiter. Anschließend werden die Messungen der verschiedenen Molekülarten miteinander verknüpft, um deren Zusammenspiel zu entschlüsseln.

Welchen Vorteil der Ansatz hat, erklärt Zarnack anhand des Spleißosoms, einer riesigen Maschinerie aus 200 bis 300 Proteinen in der Zelle. Sie hat die Aufgabe, RNA-Moleküle für die Translation fit zu machen. Am Anfang haben diese noch nicht-kodierende Bereiche. Beim Spleißen werden diese herausgeschnitten und die kodierenden Bereiche anschließend zusammengeklebt. So entsteht die reife RNA, die später das Protein kodiert. In der Spleißosom-Maschinerie befindet sich eine zentrale Komponente, welche die Spleiß-Reaktion durchführt. Wenn diese Komponente genetisch verändert ist, kann ein Mensch krank werden.

"Nun würden wir erwarten, dass alle Zellen im Körper gleichermaßen betroffen sind, wenn dieser zentrale Kern des Spleißosoms geschädigt ist. Was aber nicht der Fall ist. Stattdessen führen die Veränderungen im Spleißosom zu einer spezifischen Augenerkrankung, der Makuladegeneration, da vorrangig die Netzhautzellen darauf reagieren." Warum nur diese und nicht andere Zellen auch?

Hochauflösende Einzelmolekülmikroskopie kann darauf keine Antwort geben. "Da sehen wir, wie ein einzelnes Protein bindet. Die Detailgenauigkeit ist unglaublich, aber wir sehen eben nur ein einzelnes regulatorisches Ereignis." Der Überblick fehlt - und den liefert Multi-Omics. "In einer Transkriptom-Analyse untersuchen wir alle Spleiß-Ereignisse zusammen. So wird klar, was sich in Netzhautzellen verändert - und wie sich diese Veränderungen von denen in anderen Körperzellen unterscheiden. Was nicht zu verstehen wäre, wenn wir uns die Bindung des Proteins an eine einzelne RNA anschauen."

Den systemischen Ansatz bringt Zarnack auch in das SCALE-Projekt ein. Multi-Omics-Analysen sieht sie als Ergänzung zur hochauflösenden Mikroskopie. "Die liefert das Detailwissen - und Multi-Omics das Gesamtbild. Wir erkennen damit Verknüpfungen und Zusammenhänge: Was in der ganzen Zelle passiert, wenn sich an einer Stelle etwas verändert. Von dieser systemischen Sicht können wir dann wieder zur hochauflösenden Mikroskopie wechseln und schauen, was die veränderten Moleküle machen und wie sie aneinander binden. Es ist ein wechselseitiger Informationsaustausch - so wollen wir bei SCALE grundlegende molekulare Mechanismen klären, um irgendwann Störungen bei der RNA-Regulation vorhersagen zu können.

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Quelle: Universität Frankfurt am Main