Analytik NEWS
Das Online-Labormagazin
28.04.2024

06.11.2023

Gute Bakterien für böse Wunden

Teilen:


Empa-Forschende entwickeln einen Verband mit Milchsäurebakterien. Die probiotischen Laktobazillen sollen die Heilung chronischer keimbelasteter Wunden fördern, indem sie hartnäckige Biofilme zerstören, berichtet das Team im Fachmagazin "Microbes and Infection".

Millimeter für Millimeter bahnt sich neues Gewebe seinen Weg durch eine Wunde, bis es eine Hautverletzung wieder geschlossen hat. Bald ist im günstigsten Fall nichts mehr zu sehen von einer Knieschramme, einem Fingerschnitt oder einer Brandblase.

Nicht so jedoch bei chronischen Wunden: Wenn sich die Verletzung nach vier Wochen nicht geschlossen hat, liegt eine Wundheilungsstörung vor. Mitunter kann sich eine scheinbar harmlose Gewebeschädigung so zu einem permanenten gesundheitlichen Problem auswachsen bis hin zu einer Blutvergiftung.

Die Behandlung ist besonders schwierig, da sich Keime in diesen chronischen Wunden einnisten, die sich perfekt zu schützen wissen. Diese Bakterien bilden einen Biofilm, einen hartnäckigen Verbund aus verschiedenen Erregern. Sie produzieren zu ihrem eigenen Schutz eine Schleimschicht, mit der sie sich an Oberflächen festsetzen. Antibiotika oder Desinfektionsmittel geraten an ihre Grenzen, da sie die gefährlichen Keime nicht erreichen können.

Ein Team der Empa und des "Massachusetts Institute of Technology" (MIT) in Boston entwickelt derzeit einen Wundverband, der mit Hilfe von "guten", probiotischen Bakterien gegen die Biofilm-Bewohner vorgeht. Einen "Proof of concept" haben die Forschenden kürzlich im Fachmagazin "Microbes and Infection" publiziert.

Zäher Biofilm

Das Team um die Empa-Forschenden Qun Ren und Zhihao Li vom "Biointerfaces"-Labor in St. Gallen nutzte für den neuen Verband lebende Milchsäurebakterien. Zu diesen probiotischen Laktobazillen gehören auch einige gute Bekannte des Menschen: Als Nützlinge kommen sie beispielsweise in der gesunden Darmflora vor und spielen bei der Herstellung von Lebensmitteln wie Joghurt und Käse eine große Rolle. "Die Laktobazillen sind bioverträglich und erzeugen ein saures Milieu durch die Produktion von Milchsäure", sagt der Mediziner Zhihao Li, der als Gastwissenschaftler an der Empa die klinische Expertise im Projekt beisteuerte.

Hierdurch solle der ungünstige, basische pH-Wert in chronischen Wunden in die richtige, sprich saure, Richtung gedrängt werden. "In unseren Laborexperimenten konnten die Bakterien einen stark sauren pH-Wert von 4 im Kulturmedium erzeugen", so Teamleiterin Qun Ren. Dank der Milchsäureproduktion konnten unter Laborbedingungen zudem erwünschte Zellen, die zur Wundheilung beitrage, angelockt werden.

Nützlinge im Verband

Integriert wurden die Nützlinge schließlich in eine Wundauflage, die chronische Wunden vor weiteren Infektionen schützt. Damit wurde gleichzeitig ermöglicht, dass die lebenden Laktobazillen in geschütztem Umfeld Milchsäure produzieren konnten. Der Verband gab wie erwünscht das saure Produkt kontrolliert und stetig in die Umgebung ab. In Labortests konnte das Material mit integrierten Milchsäurebakterien einen typischen Biofilm aus Erregern in einer Kulturschale komplett zerstören. Die Frage war nun: Bestehen die Nützlinge auch den Test mit menschlicher Haut?

Das lebendige Pflaster

In kleinen Gewebeproben erzeugten die Forschenden künstliche Wunden von zwei Millimetern Länge und ließen einen Biofilm mit dem Wundkeim Pseudomonas aeruginosa heranwachsen. In diesem dreidimensionalen Modell einer menschlichen Hautwunde sollte sich die Probiotika-Wundauflage beweisen. Und tatsächlich verminderte der Bio-Verband die Zahl der Krankheitskeime um 99,999 %. Zudem konnten die Forschenden nachweisen, dass die Probiotika gut verträglich für menschliche Hautzellen sind und gleichzeitig die Produktion von Botenstoffen des Immunsystems auslösen. Nach diesem "Proof of Concept" sollen weitere Analysen zum Wirkmechanismus helfen, das Potential der Nützlinge aus der Bakterienwelt für ein "lebendes" Wundheilungsmaterial zu nutzen.

» Originalpublikation

Quelle: Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa)