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20.05.2024

05.11.2018

Warum ionische Flüssigkeiten unterkühlen, ohne zu gefrieren

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Die kalte Jahreszeit beginnt. Bei Temperaturen unter null Grad fängt Wasser an zu gefrieren. Dann wird aus einer Flüssigkeit ein Kristall, also ein Festkörper. "Es gibt aber auch Substanzen, die selbst bei tiefen Temperaturen niemals fest werden", sagt Professur Ralf Ludwig aus der Physikalischen und Theoretischen Chemie der Universität Rostock. "Die dann unterkühlten Flüssigkeiten sind zäh wie Honig und bilden schließlich ein sogenanntes Glas. Leider kann man den Substanzen nicht ansehen, ob sie bei tiefen Minusgraden zum Festkörper kristallisieren oder zum Glas werden", sagt Professor Ludwig.

Seine international wirkende Arbeitsgruppe konnte jetzt zeigen, dass die Kristallisation oder Glasbildung sogenannter ionischer Flüssigkeiten kontrolliert beeinflusst werden kann. Was das für die Forschung bedeutet? Professor Ludwig formuliert es so: "Die Kristallisation wird als thermisches Trennverfahren eingesetzt, in der Biologie soll sie verhindert werden. Hier könnten nicht-kristallisierende ionische Flüssigkeiten gezielt zur Anwendung kommen." Durch die Kristallbildung lassen sich Substanzen unterschiedlicher Gefrierpunkte trennen ganz ähnlich wie sich mit Hilfe der Destillation zum Beispiel Alkohol von Wasser trennen lässt, weil beide voneinander unterschiedliche Siedepunkte besitzen. In der Biologie führt Kristallisation zum meist unerwünschten Tod der lebenden Zellen, da die Zellmembranen durch die Kristalle durchlöchert werden.

"Der Schlüssel für die Steuerung des Phasenübergangs von flüssig zu fest (das heisst zu kristallin oder zu glasartig) sind sogenannte Wasserstoffbrücken, die sehr wichtig für unser Leben sind und die Struktur von Wasser, Proteinen und DNA bestimmen", erläutert Ludwig. Diese Wasserstoffbrücken haben einen entscheidenden Einfluss auf die makroskopischen Eigenschaften der ionischen Flüssigkeiten. Eigenschaften wie die Diffusion, die Viskosität und die Leitfähigkeit sind für die industrielle Anwendung von großer Bedeutung.

In den untersuchten ionischen Flüssigkeiten - ein seit Jahren großes Forschungs-Thema der Universität Rostock - können zwei im Gleichgewicht befindliche Typen von Wasserstoffbrücken vorliegen: "Normale" Wasserstoffbrücken zwischen Ionen gegensätzlicher Ladung und "überraschende" zwischen Ionen gleicher Ladungen. Diese müssten sich eigentlich abstoßen, werden aber dennoch durch die Wasserstoffbrücken zusammengehalten. Die Arbeitsgruppe fand nun heraus, dass ionische Flüssigkeiten mit "normalen" Wasserstoffbrücken wie erwartet, zum Festkörper erstarren. Ionische Flüssigkeiten hingegen, die eine beträchtliche Anzahl dieser "überraschenden" Wasserstoffbrücken zwischen Ionen gleicher Ladung aufweisen, kristallisieren nicht. Sie unterkühlen stattdessen und bilden schließlich ein Glas. Die "überraschenden" Wasserstoffbrücken zwischen den gleich geladenen Ionen sind offensichtlich so stark, dass sie bei tiefen Temperaturen nicht mehr aufbrechen. Dadurch werden die Ionen daran gehindert, die Kristallgitterplätze des Festkörpers einzunehmen. Die Kristallisation wird unterdrückt.

Ziel der Rostocker Arbeiten ist die gezielte Steuerung der Eigenschaften von ionischen Flüssigkeiten. Die Forschungsergebnisse der Rostocker Wissenschaftler sind aktuell in der renommierten Zeitschrift Scientific Reports der Nature Publishing Group gewürdigt worden. Finanziell unterstützt wurde das Rostocker Forschungsprojekt von der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Die Forschungsarbeiten wurden zum großen Teil im Forschungsbau des Departments "Leben, Licht und Materie" an der Universität Rostock durchgeführt

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Quelle: Universität Rostock