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20.05.2024

19.09.2018

Neue Ansätze für widerstandsfähigere Gläser

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Glück und Glas, wie leicht bricht das, sagt der Volksmund. Seine sprichwörtliche Zerbrechlichkeit wird Glas dabei gar nicht unbedingt zu Recht zugeschrieben. Denn: Gläser gehören zu den bruchfestesten Materialien, die mit modernen Technologien großtechnisch herstellbar sind. Zumindest in der Theorie. "Allerdings reduzieren bereits kleinste Defekte die praktische Festigkeit von Glas um mehrere Größenordnungen, so dass in alltäglichen Glasprodukten nur ein Bruchteil der theoretisch möglichen Festigkeit erreicht wird", weiß Prof. Dr. Lothar Wondraczek vom Lehrstuhl für Glaschemie der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Selbst modernste Härtungsverfahren, wie sie beispielsweise für Display- und Abdeckgläser in Mobiltelefonen oder Tablets verwendet werden, können das Problem heute nur in Ansätzen lösen.

Das Potenzial der mechanischen Eigenschaften von Gläsern besser auszuschöpfen, das haben sich die Wissenschaftler aus Wondraczeks Team zum Ziel gesetzt. Neben verbesserten Härtungsverfahren und neuen Glaszusammensetzungen untersuchen die Jenaer Forscher gemeinsam mit internationalen Kooperationspartnern dabei vor allem die molekularen Mechanismen und Reaktionen, durch welche die mechanischen Eigenschaften glasiger Materialien letztendlich bestimmt werden. In zwei aktuellen Studien gehen sie diesen Zusammenhängen grundlegend nach.

Glasstruktur weniger homogen als meist angenommen

"Bisher gingen wir davon aus, dass die Härte einer Glasoberfläche vor allem durch die chemischen Bindungsverhältnisse bestimmt wird, die sich aus den im Glas vorhandenen Komponenten ergeben", so Wondraczek. Während andere Werkstoffe wie Metalle, Keramiken oder Beton aus unterschiedlich großen Körnern bestehen, gelten Gläser gemeinhin als hochhomogen: Sie enthalten weder Körner noch Phasengrenzen, die einen erheblichen Einfluss auf die Festigkeit und das mechanische Verhalten haben können.

Doch diese Vorstellung stimmt so nicht ganz, wie das Forscherteam in seinen Studien jetzt belegt: "Auch die hochwertigsten Gläser weisen räumlich schwankende Eigenschaften auf", sagt Glaschemiker Wondraczek und erklärt: "Gläser werden aus Schmelzen, also Flüssigkeiten, hergestellt. In der Flüssigkeit bewegt sich jedes Molekül mit seiner eigenen Geschwindigkeit; gemeinsam unterliegen alle Moleküle und Teilchen einer bestimmten Geschwindigkeitsverteilung. Erstarrt die Flüssigkeit zum Glas, so findet sich diese Geschwindigkeitsverteilung auch in der erstarrten Struktur wieder." Nachweisbar werde dies in Form sogenannter Dichtefluktuationen, also Bereiche unterschiedlicher Dichte innerhalb des Materials. Diese Abweichungen liegen meist nur wenige Atomabstände voneinander entfernt. Wie die Wissenschaftler zeigen konnten, spielen solche Dichtefluktuationen eine entscheidende Rolle im Deformationsverhalten von Glasoberflächen.

Haftkräfte zwischen Nanokörnchen bestimmen mechanische Eigenschaften

"Gläser verhalten sich wie granulare Materialien, nur eben auf einer sehr kleinen Längenskala", so Wondraczek. Mit diesem Verständnis können die Forscher nun durch Veränderungen der chemischen Zusammensetzung des Glases gezielt Einfluss auf die Haftkräfte zwischen solchen "Nanokörnern" nehmen und so ganz unterschiedliche Verbesserungen der mechanischen Eigenschaften erreichen. Zum Beispiel könnten deutlich weniger spröde, aber dennoch kratzunempfindliche Gläser gefunden werden.

Gefördert werden die Arbeiten im Rahmen eines an der FSU koordinierten Schwerpunktprogrammes der Deutschen Forschungsgemeinschaft zum Thema "Hochfeste Gläser" sowie durch den Europäischen Forschungsrat (ERC).

» Originalpublikation 1

» Originalpublikation 2

Quelle: Universität Jena