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20.05.2024

12.09.2016

Atomarer Aufbau von Ferroelektrika ist vielfältiger als gedacht

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Ferroelektrische Materialien werden heute zum Beispiel für den Bau von Rasterkraftmikroskopen eingesetzt, wo sie das exakte Abtasten von winzigsten Oberflächendetails möglich machen, sogar von einzelnen Atomen. Charakteristisch für die Materialklasse ist eine ungleiche Verteilung von Ladungen, eine so genannte "elektrische Polarisierung". Ursache dafür sind Ionen, die ein wenig aus ihrer eigentlich vorgesehenen Lage verschoben sind. Die Richtung der Polarisierung lässt sich durch Anlegen einer Spannung umkehren und ist nicht im gesamten Material einheitlich: Kleine Felder unterschiedlicher Polarisierung, die "Domänen", verteilen sich wie ein Flickenteppich. Getrennt sind sie durch wenige Atomlagen dicke, nicht-polarisierte Schichten, so genannte "Wände".

Ein internationales Forscherteam am Jülicher Ernst Ruska-Centrum (ER-C) aus Jülich, Lausanne in der Schweiz, Xian in China und Burnaby in Kanada fand durch elektronenmikroskopische Untersuchungen nun heraus, dass es ferroelektrische Wände gibt, die quasi-chiral aufgebaut sind. Ihre Kristall-Strukturen sind nicht deckungsgleich, sondern verhalten sich wie Bild und Spiegelbild, ähnlich wie die beiden Hände eines Menschen. "Die Quasi-Chiralität unterscheidet die Wände von allen bisher bekannten", erläutert Dr. Xiankui Wei von der Schweizer Forschungseinrichtung EPFL, der derzeit am Jülicher Peter Grünberg Institut forscht.

"Unsere Entdeckung könnte einen Weg für neuartige nanoelektronische Bauteile bereiten", sagt Wei. "Theoretische Untersuchungen deuten darauf hin, dass die Rotation der Polarisierung in ferroelektrischen Kristallgittern eine außergewöhnlich starke elektromechanische Reaktion auslösen könnte. Dieser Effekt könnte eines Tages zur Miniaturisierung elektronischer Komponenten genutzt werden, zum Beispiel für winzige Drucksensoren. Die Erforschung ferroelektrischer Materialien ist noch am Anfang, aber wird durch unsere Entdeckung weiteren Auftrieb erhalten, denn wir müssen genauer verstehen, wie sich die Entstehung der Wände kontrollieren lässt."

Chirale Wände sind bereits bekannt aus Ferromagneten. Dort trennen sie die verschieden ausgerichteten magnetischen Bereiche. Der Nachweis ferroelektrischer Wände ist jedoch schwieriger, da sie gewöhnlich dünner sind und die angrenzenden Domänen sehr klein, maximal 20 Nanometer.

Am Jülicher ER-C gelang nun das Kunststück. "Die ultrahochauslösenden Elektronenmikroskope im ER-C, die zu den weltweit besten gehören, erlaubten uns, die nur wenige Pikometer großen Verschiebungen von Ionen in unseren Kristallproben zu vermessen und so die Chiralität an den Wänden ohne Umweg abzubilden", freut sich Wei. Ein Pikometer entspricht einem Milliardstel Millimeter. Eine in Jülich entwickelte Methode, den Kontrast der elektronenmikroskopischen Aufnahmen zu verstärken, war dazu ebenfalls im Einsatz.

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Quelle: Forschungszentrum Jülich - Peter-Grünberg-Institut (PGI)