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16.05.2024

30.12.2015

Mit Kombination aus Genomik und Proteomik auf dem Weg zu neuen antiviralen Medikamenten

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Es sind hauptsächlich die Influenza-A-Viren, die jedes Jahr weltweit die saisonale Grippewelle auslösen. Gegen die derzeit verfügbaren antiviralen Medikamente sind sie häufig resistent. Wissenschaftlern des Paul-Ehrlich-Instituts ist es im Rahmen einer internationalen Forschungskooperation gelungen, eine neue Zielstruktur für die zukünftige Entwicklung antiviraler Medikamente auszumachen.

Jährlich erkranken in Deutschland zwischen zwei und zehn Millionen Menschen an der Virusgrippe, die durch Influenzaviren verursacht wird. Es werden Influenza-A-, -B- und C-Viren und ihre verschiedenen Subtypen unterschieden. Influenza-A-Viren machen häufig den Großteil der weltweit zirkulierenden Grippeviren aus. Influenzaviren können sich schnell genetisch verändern, daher werden die Grippeimpfstoffe jedes Jahr an die zirkulierenden Grippeviren angepasst. Darüber hinaus werden Medikamente gegen Influenzaviren, sogenannte antivirale Medikamente, benötigt, um infizierte Personen zu behandeln sowie eine Behandlungsoption bei neu auftretenden (Grippe-)Viren zu besitzen - insbesondere bei einer Pandemie. Inzwischen sind viele Influenza-A-Viren allerdings gegen die derzeit verfügbaren antiviralen Medikamente resistent.

Ein Ansatz auf dem Weg zu neuen wirksamen Medikamenten gegen Viren ist der Angriff auf die Interaktion zwischen dem Virus und seinem Wirt - den befallenen Zellen der infizierten Menschen, denn Viren nutzen für ihre Vermehrung und Verbreitung Zellproteine (Eiweiße) des Menschen. Über eine Blockade der Interaktion des Virus- mit den Zellproteinen könnte die Virusvermehrung ausgebremst und dadurch die Virusgrippe erfolgreich therapiert werden.

Dass die genauen Prozesse der Interaktion des Influenza-A-Virus mit den menschlichen Zellen bisher nicht vollständig aufgeklärt sind, liegt u.a. daran, dass zwar weltweit umfangreiches Datenmaterial generiert wurde, dieses aber scheinbar unterschiedlich bewertet wurde. Vier internationale Arbeitsgruppen - darunter Wissenschaftler um Dr. Renate König, Leiterin der Forschungsgruppe "Zelluläre Aspekte von Pathogen-Wirt-Interaktionen" des Paul-Ehrlich-Instituts - ist es in einem gemeinsamen Großprojekt durch Kombination aufwendiger genomischer (die Gene betreffend) sowie proteomischer (die Proteine betreffend) Datenanalysen gelungen, eine Art biochemische Landkarte essenzieller Influenza-A-Virus/Wirt-Interaktionen zu erstellen.

Mit dieser "Landkarte" konnten die Wissenschaftler mit UBR4 (Ubiquitin protein ligase E3 component n-recognin 4) ein Protein in menschlichen Zellen identifizieren, das für das "Budding", das Abschnüren der Viren von der Zellmembran, den Austritt des Erregers aus der Zelle und die Verbreitung in und außerhalb des Körpers erforderlich ist. Die Wissenschaftler mutmaßen, dass UBR4 vom Virus "ausgeliehen" wird, um mit dessen enzymatischer Funktion einen im Detail noch nicht bekannten Schutzmechanismus des Menschen auszuschalten, bei dem virale Proteine degradiert werden und damit der Transport von viralem Protein zur Zellmembran unterbunden wird. Das Influenza-A-Virus erkauft sich gemäß dieses Modells durch UBR4 eine sichere Passage zur Zellmembran. Diesen Schutzmechanismus zu verstärken, könnte ein Ansatzpunkt für die Entwicklung neuer Arzneimittel gegen das Influenza-A-Virus sein.

"Ein Vorteil von Wirkstoffen, die auf zelluläre (menschliche) Proteine einwirken, die für das Virus essenziell sind, ist die Tatsache, dass sich das Genom des Menschen nicht ständig verändert, sodass Wirkstoffe auch langfristig eine Wirksamkeit zeigen dürften", erläutert König. Ein weiterer Vorteil: Medikamente mit zellulären Proteinen als Zielstrukturen sind möglicherweise gegen ganz unterschiedliche Viren wirksam, die sich des gleichen Proteinapparates des Menschen bedienen. Natürlich dürfen dabei essenzielle Zellfunktionen nicht gestört werden. Und schließlich besitzen zelluläre Proteine als Zielstrukturen das Potenzial, zur Verstärkung der Wirksamkeit von Impfstoffen genutzt zu werden.

» Originalpublikation

Quelle: Paul-Ehrlich-Institut (PEI)