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20.05.2024

02.10.2015

Musterfall einer spingesteuerten chemischen Reaktion untersucht

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In den 1960er-Jahren haben Forscher entdeckt, dass chemische Reaktionsraten durch externe Magnetfelder beeinflusst werden können. Seitdem hat sich eine eigene Forschungsrichtung speziell diesem Effekt gewidmet, die so genannte Spinchemie. Bei den meisten Reaktionen sind diese Effekte geringfügig; evident werden sie jedoch bei Reaktionen, bei denen lichtinduziert eine Ladungstrennung auftritt, durch die Radikalpaare entstehen, also Zwischenstufen mit ungepaarten Elektronen. Deren Zerfallszeit ist sowohl abhängig von den magnetischen Momenten der Atomkerne als auch von einem Magnetfeld, das von außen angelegt wird.

Einen Musterfall einer derart Spin-gesteuerten chemischen Reaktion haben der Würzburger Forscher Professor Christoph Lambert, Inhaber des Lehrstuhls für Physikalische Organische Chemie, und der Konstanzer Chemiker Professor Ulrich Steiner untersucht.

Ergebnisse mit Modellcharakter

Christoph Lambert und seine Arbeitsgruppe haben dafür supramolekulare Verbindungen synthetisiert, die nach einer lichtinduzierter Ladungstrennung eine magnetfeldabhängige Ladungsrekombination zeigten. Ulrich Steiner hat diesen Magnetfeldeffekt theoretisch ausgewertet. Dabei zeigte sich eine bislang unentdeckte stufenförmige Auflösung der Magnetfeldabhängigkeit.

Die Ergebnisse haben Modellcharakter und dürften sich auch in Lehrbüchern niederschlagen. Sie könnten zudem Anwendung finden in der Konstruktion künstlicher Photosysteme, die auf Stärke und Richtung des irdischen Magnetfelds ansprechen. In diesem Zusammenhang könnten Magnetorezeptoren genauer untersucht werden, von denen man annimmt, dass sie Grundlage des magnetischen Orientierungssinns von Vögeln sind.

Die Rolle des Spins in der Reaktion

Ursache für die Magnetfeldabhängigkeit chemischer Reaktionen von Radikalpaaren ist deren Abhängigkeit von der Einstellung der beiden Elektronenspins zueinander. Nach dem Pauli-Prinzip müssen die Spins einander entgegengesetzt orientiert sein, wenn sie sich auf der gleichen Bahn vereinigen wollen. Dies geschieht bei der Rekombination von Radikalen. Befinden sich die Radikale im getrennten Spinzustand, kann die Ausrichtung der Spins unabhängig voneinander durch magnetische Felder beeinflusst werden, so dass damit auch das Reaktionsverhalten beeinflusst wird.

Systemintern finden solche Wechselwirkungen vor allem mit den Kernspins statt, in deren Feldern sich die beiden Elektronenspins lokal unterschiedlich umorientieren (präzedieren). Zeitlich konstante Wechselwirkungen, wie sie durch die chemischen Bindungen vermittelt werden, führen zu regelmäßigen (kohärenten) Präzessionsbewegungen; zeitlich fluktuierende Felder, wie sie bei direkter Wechselwirkung zwischen Elektronen- und Kernspins durch die Rotation der Moleküle zustande kommen, führen zu einem zeitlich fluktuierenden (inkohärenten) Umklappen der Elektronenspins.

Erstmalige Beobachtung beider Komponenten

Durch ein äußeres Magnetfeld werden die von den inneren Feldern hervorgerufenen Effekte unterdrückt. Dadurch, dass die Abhängigkeit der Rekombinationsgeschwindigkeit von äußeren Magnetfeldern präzise gemessen und auf der Basis einer vereinheitlichten Theorie ausgewertet wurden, war es erstmals möglich, die beiden Komponenten der Spinbewegung (kohärente Präzessionsbewegung und inkohärentes Umklappen des Elektronenspins) als klar unterscheidbare Stufen in den Kurven der Magnetfeldabhängigkeit zu erkennen.

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Quelle: Universität Würzburg