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30.05.2024

07.06.2023

Kupfer bindender Wirkstoff auf Metformin Basis: neue Hoffnungen auf Heilung von Sepsis und Metastasenbildung

Sebastian Müller , Institut Curie

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Wie können menschliche Zellen schnell auf physische und chemische Veränderungen in ihrer Umgebung reagieren? Obwohl genetische Mutationen Zellveränderungen hervorrufen können, können nichtgenetische Mechanismen, in einem Prozess, der auch Zellplastizität genannt wird, schnelle Adaptationen antreiben. Zellplastizität ist Teil von fundamentalen biologischen Prozessen, in gesunden wie auch erkrankten Zellen. Die Arbeitsgruppe von Raphael Rodriguez am Pariser Curie-Institut erforscht die Rolle von Eisen, Kupfer, Magnesium und anderen Metallen in der Zelle, vor allem Krebszellen, die mehr Eisen aufnehmen, wenn sie Metastasen bilden.

Nicht nur Krebs-, sondern auch Immunzellen verändern sich aufgrund von Erkrankungen. Wird diese Plastizität womöglich auch von Metallen beeinflusst, wie bei Krebs? Bestimmte Immunzellen, die Makrophagen, die bei überschießenden Immunreaktionen wie bei Covid oder Sepsis überreagieren, enthalten mehr Eisen. Vor allem aber fand die Gruppe von Raphael Rodriguez mehr Kupfer als üblich, in einer Studie, die im Fachblatt Nature veröffentlicht wurde.

Sind Metalle für Veränderungen des Zellstatus bei Entzündungen und Krebs verantwortlich?

Die Arbeit begann 2020 zu Beginn der COVID-19 Pandemie. Die Gruppe untersuchte, ob die Aktivierung von Immunzellen, ebenso wie bei Krebserkrankungen, von dem Protein CD44 abhängig ist; einem Protein, das sich auf der Zelloberfläche befindet und mitverantwortlich für die Aufnahme von Metallen in Zellen ist. Andere, zeitgleich durchgeführte Studien zeigten auch deutlich, dass die Haupttodesursache bei COVID-19 auf Entzündungen und septischen Schock zurückzuführen waren.

Die Wissenschaftler in der Gruppe von Dr. Raphael Rodriguez fanden heraus, dass Kupfer vor allem in den Kraftwerken der Zellen, den Mitochondrien, gebraucht wird, um das Molekül NADH zu produzieren, das als Energieträger funktioniert. Wenn Zellen sich verändern oder aktiv werden, brauchen sie mehr NADH und entsprechend viel Kupfer, um das Molekül herzustellen. Doch bei hyperaktiven Immunzellen oder metastasierenden Krebszellen ist hingegen zu viel Energie, zu viel Kupfer im Spiel. Lässt sich die Überreaktion vielleicht stoppen, indem man das Kupfer abfängt?

Eine Studie von 1929 beschreibt Kupferkomplexe mit Metformin, ein altbekanntes Medikament gegen Diabetes. Bei der Komplexbildung reagieren Metformin-Moleküle mit Kupfer-Ionen im Verhältnis 2:1. Allerdings ist ein Überschuss an Metformin mit Nebenwirkungen und Zellschädigungen, vor allem der Niere, verbunden. Um die Bindungswahrscheinlichkeit und damit die Ausbeute bei der Komplexbildung zu verbessern, verbanden Wissenschaftler je zwei Metformin-Moleküle mit einem sogenannten "Linker". Das resultierende Supformin bindet Kupfer 5000fach effektiver als Metformin.

Wie wirkt Supformin auf die Zellplastizität?

Supformin
Links: Kupferlösung. Rechts: Kupferlösung mit
Supformin, die eine typische rosa Färbung hat.

Supformin blockiert direkt die Produktion von NADH aus NAD+, welches zu einer Degradierung beider Moleküle führt. Dies wirkt sich wiederum auf den sogenannten Citratzyklus in Mitochondrien aus und reduziert die Mengen wichtiger Metabolite, wie zum Beispiel Alphaketoglutarat und Acetyl-Coenzym A. Diese werden im Zellkern gebraucht, um sogenannte epigenetische Modifikationen durchzuführen, also nichtgenetische Veränderungen im Zellstatus, wie beispielsweise die Immunzellaktivierung. Somit reduziert Supformin den Grad der Immunzellaktivierung, bei Makrophagen, T-Zellen und dendritischen Zellen. Dies führt wiederum zu weniger Entzündung.

Wirkt Supformin außerhalb des Reagenzglases?

Die nächste Frage war natürlich, ob Supformin auch außerhalb des Reagenzglases und der Zellkultur wirkt. Kann es Erkrankungen wie Blutvergiftung oder andere überschießende Entzündungsreaktionen bändigen? Die Wissenschaftler testeten das Molekül in mehreren Sepsismodellen an Mäusen. Alle Tiere, die ohne Supformin an Blutvergiftung gestorben wären, überlebten. Das Team wiederholte die Experimente mehrmals, um die positiven Versuchsergebnisse sicher zu bestätigen. Die Experimente begannen Anfang 2021 und liefen über zwei Jahre, bevor die Arbeit im Fachblatt "Nature" veröffentlicht werden konnte.

Was kommt danach?

Über Krebs, Sepsis und Covid hinaus könnte Supformin auch das Interesse all jener wecken, die das Alter gern hinauszögern würden. Denn bei manchen Tieren kann schon das Vorläufermolekül Metformin die Lebenserwartung erhöhen. Die Ursache dafür war bislang nicht klar. Doch die Ergebnisse deuten darauf hin, dass es mit der Wirkung des Metformins auf den Kupfer-Pool in den Mitochondrien zu tun haben könnte. Der NADH-Stoffwechsel gerät im Alter immer mehr aus dem Ruder. Ob Supformin das ändern und einen deutlicheren Effekt bei weniger Nebenwirkungen als Metformin haben kann, muss noch erforscht werden.

Originalpublikation:

Solier et al., A druggable copper-signalling pathway that drives inflammation, Nature, 2023, 617, 386-394


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