19.08.2021
Temperiergeräte in der Atmosphärenforschung
Dr. Ulrich Krüger, ETH Zürich
Die Entdeckung des Ozonloches über dem Südpol durch die Wissenschaftler Farman, Gardiner und Shanklin des British Antarctic Survey im Mai des Jahre 1985 - also vor mehr als 30 Jahren - kam auch für die Atmosphärenwissenschaftler völlig überraschend. Zwar hatten bereits in den 1970 Jahren Molina und Rowland postuliert, dass die Fluorkohlenwasserstoffe (FCKW), die einst als segensreiche Verbindungen den Einzug in Kältemaschinen, aber auch in Isolierschäume und Spraydosen gefunden hatten, aufgrund ihrer Reaktionsträgheit bis in die Stratosphäre aufsteigen und dort die Ozonschicht zerstören könnten, dennoch schockierte die Größe der beobachteten Ozonzerstörung über den Polen die Wissenschaft. Die Entdeckung führte zu einer politischen Diskussion, die 1987 in das Montrealer Protokoll mündete, in dem erstmals konkrete Maßnahmen für eine Reduktion der globalen FCKW-Emissionen verabredet wurden.
Zur Zeit der Unterzeichnung des Montrealer Protokolls war noch keineswegs ein wissenschaftlicher Konsens über die genauen Prozesse der polaren Ozonzerstörung erreicht. Aber bereits 1986 hatte Susan Solomon vorgeschlagen, dass chemische Reaktionen auf den Oberflächen polarer Stratosphärenwolken (sogenannte heterogene Reaktionen) in der kalten antarktischen Stratosphäre bei etwa -80°C für eine Zunahme der Konzentrationen von sogenanntem "aktivem" Chlor verantwortlich wären [1].
- Abb.1: Eine aus Wassereis bestehende
antarktisch polare Stratosphärenwolke,
die in etwa 22 km Höhe noch von der
Sonne beschienen wird.
Und hier kommt der Unistat 420w ins Spiel. Im Gegensatz zu den uns vertrauten Wolken in der Troposphäre entstehen Wolken in der Stratosphäre - wie in Abbildung 1 gezeigt - aufgrund der dort vorherrschenden Trockenheit nur unter sehr kalten Bedingungen bei Temperaturen unterhalb von -70°C.
Laborexperimente zur Entstehung und Chemie der polaren Stratosphärenwolken müssen also bei Temperaturen von -70°C bis ca. -90°C durchgeführt werden, dabei müssen diese Temperaturen genau angefahren werden können und für längere Zeiten, nämlich bis zu einigen Tagen, stabil gehalten werden. Diese Wolken können nicht nur aus Wassereis bestehen, sondern auch aus Hydraten der Salpetersäure oder der Schwefelsäure, sowie als unterkühlte ternäre Lösungströpfchen aus Schwefelsäure, Salpetersäure und Wasser bestehen, siehe Abbildung 2.
Abb.2: Zwei Möglichkeiten der Bildung polarer Stratosphärenwolken.
Links: bei Temperaturerniedrigung gefrieren H2SO4/H2O-Tröpfchen zunächst als Schwefelsäurehydrat (SAT),
dann bilden sich auf diesem ein Salpetersäurehydrat (z.B. HNO3 x 3 H2O = NAT), und schließlich Wassereis. Diese
sogenannte NAT-Hypothese erwies sich als falsch, unter anderem aufgrund der unten beschriebenen Experimente.
Rechts: das Gefrieren bei relativ hohen Temperaturen bleibt aus, hingegen kommt es zur starken Aufnahme von
Salpetersäure in die flüssige Phase und bei noch tieferen Temperaturen zur Entstehung von Eiskristallen in den Tröpfchen.
Abb.3: Abhängigkeit der Verlustrate von Chlornitrat (Chloraktivierung) von der Temperatur
und der Art der vorherrschenden Oberflächen der Wolkenteilchen. Die angegebenen Zeiten
beziehen sich auf die Dauer, die benötigt wird, um das vorliegende Chlor zu aktivieren.
Einzelne Aerosolteichen mit Durchmessern von nur wenigen Mikrometern lassen sich unter kontrollierten Umgebungsbedingungen über lange Zeiträume ortsfest in der Schwebe halten, im in der Abbildung 4 gezeigten Aufbau wird dies in einer elektrodynamischen Falle realisiert. Diese Aerosolteilchen lassen sich dann mit Hilfe spektroskopischer Methoden in Bezug auf ihre Größe, ihren Aggregatzustand, ihre optischen Eigenschaften und ihre chemische Zusammensetzung untersuchen, ohne dass diese Eigenschaften durch einen Kontakt zu einer Oberfläche verfälscht werden.
Abb.4: Experimentelle Anordnung zur Untersuchung von Phasenübergängen in levitierten Aerosoltröpfchen. Eine elektrodynamische
Falle befindet sich in einer temperierten Glaskammer, in die Gase verschiedener Konzentrationen eingeleitet werden können. Eine
Reihe von spektroskopischen Methoden erlaubt die Charakterisierung des ausgeschwebten Teilchens unter stratosphärischen Bedingungen.
Die Kältemaschine wurde nach diesen Experimenten über weitere 10 Jahre in diesem Aufbau für unterschiedliche Projekte an der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich erfolgreich gebraucht, zuletzt zur Bestimmung von Diffusionskonstanten in organischen Aerosolen bei tiefen Temperaturen. Nach mehr als 20 Jahren Betriebsdauer stand bei dem Unistat ein Austausch des Kältemittel an. Dieser hätte es zwingend erforderlich gemacht, auf ein anderes, zugelassenes Kältemittel umzurüsten - diese Maßnahme wäre aus wirtschaftlicher Sicht jedoch unrentabel gewesen.
Es mag eine Ironie der Geschichte sein, dass gerade der Forschungsgegenstand, im Rahmen derer der Unistat genutzt wurde, eine Weiternutzung wirtschaftlich unrentabel gemacht hat. Umso mehr dürfen wir zufrieden feststellen, dass die heutigen Unistate mit natürlichen Kältemitteln arbeiten, die umweltfreundlicher sind als diejenigen, die zur Zeit des Ozonforschungsprogrammes verwendet wurden.
Referenzen:
- Solomon, S., Garcia, R. R., Rowland, F. S., and Wuebbles, D. J.: "On the depletion of Antarctic ozone", Nature, 321, 755 - 758 (1986).
- Zellner, R., Peter, Th., Dämmer, K. und Quintern, L.: "10 Jahre Deutsche Ozonforschung", Dokumentation des Ozonforschungsprogrammes des BMBF (1999).
- Krieger, U. K., Colberg, C. A., Weers, U., Koop, T., and Peter, Th.: "Supercooling of single H2SO4/H2O aerosols to 158 K: No evidence for the occurrence of the octahydrate", Geophysical Research Letters, 27, 2097 - 2100 (2000).
Am Max-Planck-Institut für Chemie in Mainz wurden im Rahmen eines 10-jährigen Ozonforschungsprogramms des Bundesministeriums für Bildung und Forschung Laborexperimente zur polaren Stratosphärenforschung durchgeführt. Dabei kam auch ein Unistat 420w von Huber Kältemaschinenbau zum Einsatz. Dr. Ulrich Krieger nimmt in diesem Beitrag Abschied von seinem Unistat-Temperiersystem, das ihn viele Jahre bei seiner Arbeit begleitet hat.