Analytik NEWS
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20.05.2024

28.01.2011

Laborfachmessen in Zeiten von Social Media - ein Auslaufmodell?

Dr. Torsten Beyer , Dr. Beyer Internet-Beratung

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Soziale Netzwerke wie Twitter, Facebook, XING oder LinkedIn sind heute in aller Munde. Glaubt man den Experten, dann ist das bisherige Internet ein Auslaufmodell und alles läuft bald im sogenannten "Web 2.0" ab. Braucht man dann überhaupt noch Fachmessen und Außendienst? Dieser Beitrag versucht eine realistische Bestandsaufnahme der aktuellen Situation.

Wird eine Homepage in diesen Tagen "relaunched", dann wird man fast immer auch die netten Icons von Twitter, Facebook und anderen sozialen Netzwerken finden, so beispielsweise auf der in der LABO 12/2010 vorgestellten Homepage von Pfeiffer Vacuum oder auch auf der neuen LABO-Homepage. Auch wir selbst nutzen die Icons in unserem Online-Labormagazin Analytik NEWS seit einiger Zeit und betreiben auch eine Homepage bei Facebook. In der Regel werden die Buttons auf der Firmen-Homepage unter jeder Nachricht (bei einer Zeitschrift) oder unter jedem Produkt (bei einem Hersteller oder Online-Shop) in der Hoffnung platziert, dass die Nutzer die Seite in den sozialen Netzwerken weiterempfehlen mögen - getreu dem Motto: "Die beste Werbung sind unabhängige Empfehlungen von Dritten." Das klingt in der Theorie gut und führt dazu, dass man die Buttons auf immer mehr Seiten im Web findet - nur die Mitarbeiter im Labor lässt das alles weitgehend kalt.

Twitter Analytik NEWS
Bild 1: Twitter-Account von Analytik NEWS
Das hat ganz unterschiedliche Gründe: Zum einen ist es für die überwiegende Mehrheit der Anwender die gängige Praxis, einen interessanten Link ganz einfach in eine Mail zu kopieren und direkt an einen oder mehrere Kollegen zu mailen. Oder man nutzt die schon lange bekannten Formulare "Seite empfehlen", die auch schon vor dem Social Media Hype auf vielen Webseiten zu finden waren und geht dazu nicht über Twitter & Co.

Denn die Nutzung sozialer Medien setzt voraus, dass man dort selbst einen Account hat (was oft nicht der Fall ist) und dann müsste man auch sicher sein, dass der Kollege selbst einen Zugang hat und die auf diesem Weg übermittelten Nachrichten auch liest. Darüber hinaus gibt es viele konkurrierende soziale Netzwerke (aktuell sind es sicher über 100) und kaum jemand wird mehr als eine Handvoll aktiv nutzen und sich nur wegen der Empfehlung eines Kollegen dort registrieren. Dafür hat im Arbeitsalltag kaum jemand Zeit und daher nutzt es auch fast niemand, obwohl die Zugänge in der Regel immer kostenlos sind.

Facebook Analytik NEWS
Bild 2: Facebook-Account von Analytik NEWS
E-Mail ist und bleibt heute das zentrale Kommunikationsmittel in Unternehmen und es ist nicht absehbar, dass sich dies in absehbarer Zeit ändern könnte. Und man darf auch nicht vergessen, dass es immer noch Angestellte im Labor gibt, die nur einen Mail- aber keinen Webzugang haben. Doch woher kommt der Hype um soziale Medien und Web 2.0?

Es gibt diverse Studien, die belegen, dass die Dienste überwiegend von jüngeren Leuten im privaten Umfeld genutzt werden. Jugendliche und Studenten werden heute mit sozialen Netzwerken wie SchülerVZ, StudiVZ und YouTube groß und sind dabei oft auch sehr freizügig im Umgang mit privaten Daten.

Auch stehen manche Netzwerke wie Facebook im Verdacht, zu viele Daten zu sammeln und damit umfangreiche Nutzerprofile anzulegen, die dann für Werbezwecke genutzt werden. Die ältere Generation ist hier noch weitaus zurückhaltender und kommuniziert überwiegend über E-Mail und im besten Fall vielleicht noch über spezielle Diskussionsforen.

Auch stelle ich immer wieder fest, dass viele meiner Seminarteilnehmer mit dem Ausdruck "Web 2.0" nichts anfangen können. Es ist eigentlich ein Widerspruch in sich, suggeriert der Zusatz "2.0" doch etwas Neues, was es vorher noch nicht gab. Wer sich allerdings mit der Geschichte des Internets etwas näher befasst hat, der weiß, dass schon Ende der 70er Jahre das sogenannte "USENET" etabliert wurde. Hierbei handelte es sich um Diskussionsforen, die Studenten an amerikanischen Universitäten nutzten, um sich untereinander auszutauschen und Fragen rund um Ihr Studium zu diskutieren. Das alles gab es schon lange vor dem ersten Internet-Browser, der Anfang der 90er Jahr entwickelt wurde. Vor einigen Jahren hat Google diese Abermillionen von Fragen und Antworten für einen symbolischen Preis von einem Dollar übernommen und in sein Suchportal integriert, weil der Betrieb der Webserver von den Universitäten nicht mehr finanziert werden konnte. Man findet den Bereich allerdings heute nicht mehr so leicht auf der Google-Homepage, daher hier der direkte Link: https://groups.google.com.

In den 90er Jahren folgte dann das "Web 1.0", wenn man so will. Hier wurde weniger kommuniziert als vielmehr einseitig von Firmen, Institutionen, Medien etc. Informationen im Internet veröffentlicht, weil nahezu jedes Unternehmen, jede Institution und auch viele Privatpersonen eigene Homepages eingerichtet haben. Natürlich gab es Diskussionsforen auch weiterhin, sie verloren aber an Bedeutung und gingen in der Flut der vielen neuen Webseiten teilweise unter. Vor ungefähr 7 Jahren kam dann jemand auf die glorreiche Idee, das "Web 2.0" zu proklamieren und viele sprangen in der Folge auf diesen Zug auf. Es ist aber gar nichts neues, sondern nur eine Wiederbelebung des ursprünglichen Internets - also eigentlich das "Web 0.0".

Damit an dieser Stelle kein falscher Eindruck entsteht: Soziale Medien haben durchaus ihre Existenzberechtigung, insbesondere weil es heute sehr leicht und ohne Programmierkenntnisse oder eigene Homepage möglich ist, Informationen einem großen Nutzerkreis zur Verfügung zu stellen. Man denke nur an die Online-Enzyklopädie "Wikipedia" mit Ihren Abertausenden von Autoren, die ein qualitativ hochwertiges Lexikon geschaffen haben, das sich hinter kommerziellen Produkten nicht zu verstecken braucht.

Für Unternehmen stellt sich allerdings die Frage, wie sie soziale Medien sinnvoll und gewinnbringend nutzen sollen. Die meisten beschränken sich momentan noch darauf, in diversen sozialen Netzwerken Ihre Presse- und Produktnachrichten zu verbreiten, die sie sowieso schon auf ihren Firmenhomepages oder in den zahlreichen Nachrichtenplattformen veröffentlichen, die im Fachjargon heute als "Social News Seiten" bezeichnet werden. Oder man veröffentlicht ein paar Produktvideos auf YouTube. Damit lassen sich einige neue Interessenten und Leser erschließen, große Effekte oder gar signifikante Steigerungen der Zugriffszahlen auf die Firmenhomepage darf man aber nur in Ausnahmefällen erwarten.

Eine weitergehende Nutzung erfolgt sehr selten und setzt natürlich auch voraus, dass ein Mitarbeiter oder Bereich im Unternehmen die ganzen Accounts beobachtet und Anfragen auch sehr zeitnah beantwortet. Denn ansonsten wird das Ganze schnell kontraproduktiv. Eine nicht zu unterschätzende Gefahr für Unternehmen ist die Verbreitung von manchmal wenig schmeichel-haften Diskussionen beispielsweise über einen schlechten Service außerhalb des eigenen direkten Einflussbereiches. Das kann im Extremfall zur Schädigung von Marken führen, wie im Buch von Tamar Weinberg [1] an einigen Beispielen beschrieben wird. Insgesamt kann man festhalten, dass die sozialen Medien eher etwas für den Privatbereich sind und in weiten Teilen wohl auch bleiben werden. Nur ein verschwindend geringer Teil nutzt sie heute beruflich.

Ein weiterer wichtiger Punkt blieb bisher noch unerwähnt: Das "Mitmach-Web" funktioniert nur, wenn die Nutzer auch wirklich mitmachen. Viele Diskussionsforen auf bekannten Portalen existieren heute nicht mehr und sogar soziale Plattformen wie "LabCircle" sind vermutlich mangels Masse und Beteiligung eingestellt worden. Und welche Firma hat auf Ihrer Webseite heute noch ein eigenes Forum? Mir fällt fast keine ein. Der Grund ist ganz einfach: Beteiligt sich über einen längeren Zeitraum kaum jemand an einem Forum, wird irgendwann auch niemand mehr Fragen stellen und damit ist dann das Forum schnell am Ende. Genauso verhält es sich mit den sozialen Medien. Wenn die meisten Nutzer nur konsumieren und nur ein kleiner Prozentsatz selbst aktiv Inhalte beisteuert, läuft sich das ganze irgendwann tot oder wird zu einer Plattform einer kleinen Minderheit von Internetnutzern. Im Jahr 2010 wurden zwar 100 Millionen Twitter-Accounts angelegt, aber nur ein geringer Prozentsatz nutzt den Zugang auch aktiv [2] - siehe beispielsweise die Firma SGE.

Sieht man sich die Marketing-Budgets an, so fließen aktuell nur 2 Prozent der Ausgaben in den Bereich Social Media Marketing [3]. Das mag sicher auch daran liegen, dass das Thema noch relativ neu ist. Aber viele Marketing-Verantwortliche haben wahrscheinlich schon eine realistische Sichtweise gewonnen, nämlich dass die sozialen Medien im beruflichen Bereich doch momentan überschätzt werden [4]. Die Kontaktplattformen XING im deutschsprachigen und im internationalen Bereich LinkedIn sind hier zwei Ausnahmen, die vor allen bei den Themen Jobwechsel, Kontaktanbahnung und Kundenbindung auch in der Laborbranche viele Nutzer gefunden haben. Sie sind bei Personalabteilungen eher unbeliebt und schon das Vorhandensein eines Profils auf einer dieser Plattformen lässt an vielen Stellen die Alarmglocken klingeln! Manche Unternehmen verbieten ihren Mitarbeitern sogar, den Firmennamen dort zu verwenden.

Abschließend wollen wir noch den Bogen zu einer Laborfachmesse wie der LAB-SUPPLY spannen. Ich bin der festen Überzeugung, dass gerade solche regionale Veranstaltungen weiter an Bedeutung gewinnen werden. Es gibt ja bereits zahlreiche Veranstaltungen, die im kleineren Rahmen stattfinden und für einen Aussteller mit weitaus weniger personellem und finanziellem Aufwand als die großen Messen durchführbar sind. Der Vorteil für die Besucher sind kürzere Anreisewege und kompetente Ansprechpartner vor Ort, mit denen man Dinge klären kann, die sich über Internet und soziale Medien nicht klären ließen. Viele Außendienstmitarbeiter bestätigen, dass Ihr Job heute anspruchsvoller ist als noch vor 10 Jahren. Heute informieren sich die Nutzer sehr dezidiert auf der Firmenhomepage oder diskutieren Probleme in Online-Foren wie beispielsweise unserem ANALYTIK Forum oder dem englischsprachigen "Chromatography Forum". Nur, was hier nicht geklärt werden kann, wird dann an das Standpersonal bei den Messen herangetragen. Dass sich solche Diskussionen in absehbarer Zeit in soziale Medien verlagern, darf bezweifelt werden.

Die Frage im Titel kann also aus heutiger Sicht mit einem klaren "Nein" beantwortet werden: Nichts ersetzt das direkte Gespräch, auch keine Social Media Plattform. Was die Zukunft bringt, wird sich zeigen. Der nächste Internet-Hype kommt bestimmt...

Literaturtipps:

[1] Social Media Marketing: Strategien für Twitter, Facebook & Co (Tamar Weinberg, O'Reilly 2001)

[2] Twitter-Erfolg: 100 Mio. Neulinge alleine 2010 (pts/11.12.2010)

[3] Social Media Marketing im Handel unbedeutend (heise online, 13.12.2010)

[4] Der Hype um Social Media (pts/10.12.2010)


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