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20.05.2024

05.10.2023

Diskutieren - bitte mit Niveau

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Diskussion
Bild: PxHere [CCO]
Diskussionen gehören zu den Grundpfeilern der Demokratie - Meinungsaustausch bei Meinungsfreiheit - und das ist gut so. Allerdings macht sich zunehmend eine Diskussionskultur breit, die diesem Namen kaum oder gar nicht mehr gerecht wird. Nicht nur aus der Distanz der Sozialen Medien heraus, sondern auch in den zahllosen Talkshows im Fernsehen, in Bundestagsdebatten oder bei Kundgebungen wird sich oft einer Rhetorik bedient, die mit guter Argumentation nichts mehr zu tun hat.

Dabei sind es nicht nur die Stimmen aus dem rechten Lager, die populistisch und diskriminierend daherkommen. Auf die gleiche Art und Weise tönen vom ganz linken Rand der Gesellschaft und auch aus den Reihen der so genannten Volksparteien in der Opposition eher verallgemeinernde "Rund-um-Schläge", als schlagkräftige Argumente.

Besonders deutlich wird der Verlust der Diskussionskultur an emotional besetzen Themen wie dem Klimawandel. Bis auf wenige Ausnahmen hat glaube ich mittlerweile jeder verstanden, dass es nicht so weiter gehen kann wie bisher. Dass es Veränderungen geben muss, wenn wir unsere lebenswerte Umwelt zumindest in großen Teilen erhalten möchten. Nur darauf, wie wir den Weg der Veränderungen gestalten, kann kein Konsens gefunden werden. Die einen schüren die Angst vor Einschnitten in die persönliche Komfortzone und für die Wirtschaft, die anderen reden die Auswirkungen des Klimawandels auf unser Leben klein, um Veränderungen zu minimieren oder zu blockieren und eine weitere Gruppe versucht, die notwendigen Schritte endlich zu gehen, allerdings oft vollkommen ohne Rücksicht auf Verluste. Über die Verzögerungstaktiken verschiedenster Gruppen bezüglich des Klimawandels hat unser Kollege Torsten Beyer bereits in seinem Blogbeitrag berichtet.

Gleiches gilt bei der wieder aufflammenden Debatte um geflüchtete Menschen, ihre Verteilung auf Europa und in deutschen Kommunen. Vergessen wird dabei häufig, dass Klimawandel und Fluchtbewegung unlösbar miteinander verwoben sind. Genauso gerne wird vergessen darauf hinzuweisen, dass die Industrielle Revolution, die vor gut 100 Jahren in den westlichen Industriestaaten begann, eine der Hauptursachen für den Beginn des Klimawandels ist. Diejenigen, die mittlerweile die hauptsächlich Leidtragenden sind, leben allerdings im globalen Süden, wo die Auswirkungen der Erderwärmung deutlich spürbarer sind als bei uns. Derweil wir uns in Deutschland über herrliche, sonnig-warme Sommertage freuen, leiden die Menschen anderenorts unter unterschiedlichsten Extremwetterereignissen und existenzieller Bedrohung von Leib und Leben.

Unser Wohlstand beruht zum Großteil auf den Errungenschaften der Industriellen Revolution. Die Konsequenzen spüren 100 Jahre später in erster Linie die Menschen in den Regionen, die am wenigsten davon profitiert haben, möglicherweise sogar als Kolonien ausgebeutet wurden. Ursache und Wirkung fallen also sowohl zeitlich als auch räumlich gesehen eklatant auseinander. Das macht es uns sehr einfach, die Verantwortung von uns zu weisen und auf unseren Status Quo zu pochen. Ein Recht dazu haben wir meiner Meinung nach definitiv nicht. Studien, wie beispielsweise das Jahresgutachten des Sachverständigenrats für Integration und Migration (SVR), erwarten einen deutlichen Anstieg von klimawandelbedingter Migration.

Die Spannbreite bei den Prognosen beträgt 143 Millionen bis 1,2 Milliarden Flüchtende bis 2050. Auch wird es mehr bewaffnete Konflikte um wasserreiche, fruchtbare Landstriche ohne Extremwetterereignisse geben, wenn diese zukünftig immer knapper werden. Zur allgemeinen Beruhigung: Nicht alle Flüchtenden zielen sofort auf Europa, wenn sie ihren Wohnort verlassen müssen. Der größte Teil der Fluchtbewegungen findet innerhalb eines Landes, zu den Nachbarländern und innerhalb eines Kontinents statt. Aber möglicherweise hat der Katastrophensommer 2023 mit seinen verheerenden Bränden, Stürmen und Regenfällen in Südeuropa dem einen oder der anderen vor Augen geführt, was der Klimawandel auch für unsere Breitengerade bedeutet.

Nein, ich habe kein Patentrezept. Weder für ein Ende des Klimawandels, noch die Bewältigung der Flüchtlingsströme. Oder mit dem Mathematiker Carl Friedrich Gauß gesprochen:

Das Ergebnis habe ich schon, jetzt brauche ich nur noch den Weg, der zu ihm führt.
Carl Friedrich Gauß (1777-1855)

Was ich jedoch weiß ist, dass diese beiden Probleme (wie auch die meisten anderen) weder durch emotionsgeladene Debatten oder polemische Kundegebungen, noch durch kurzfristig gedachte und auf die eigene nationale Situation fokussierte Strategien gelöst werden können. Es muss in längeren Zeiträumen als in Wahlkampf- oder Legislaturperioden und global gedacht werden. Auf der Grundlage des von unserer Geschichte geprägten ersten Satz des Grundgesetzes: "Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen, ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt." Wir müssen von unserem Wohlfühlsessel aufstehen und der unbequemen Lage ins Gesicht sehen, Abstriche von unserem Wohlstand in Kauf nehmen und gemeinsam die Diskussionen wieder von der Gefühlsebene auf eine sachliche befördern.

Kein Mensch, keine Nation kann alleine die Probleme der Weltgemeinschaft beheben. Aber das Schüren von Angst und Neid stärkt Populisten und Demokratiefeinde. Laut der neuen "Mitte-Studie" der Friedrich-Ebert-Stiftung werden Demokratie und ihre Grundprinzipien von einem nicht zu unterschätzenden Teil der deutschen Bevölkerung sehr distanziert betrachtet. Diskussionen - Meinungsaustausch bei Meinungsfreiheit - gehören zu den Grundpfeilern der Demokratie. Ob es den Demokratie-Skeptikern bewusst ist, dass sie sich genau dieser Freiheit selbst berauben würden?

» Jahresgutachten des SVR

» Mitte-Studie 2022/23

» Regeln für die gute Debatte

Autor:  

Anke Fähnrich

Anke Fähnrich


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anonym27.10.2023 um 08:54:25

Es ist alles wahr für meine Person, was Sie schreiben; aber wer sieht denn Sachen so bis in die Wurzeln. Mich beschämt es, täglich die Nachrichten zu lesen. Z.B. hat Belgien Kongo ausgenommen, ohne die Menschen zu beachten. Daran sollten wir denken.




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