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19.05.2024

21.09.2023

Eine unvorstellbar große konstante Größe

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unzählige Moleküle
Bild: pixabay [CCO]
Am 30. September 1870 wurde im französischen Lille ein kleiner Junge geboren, der als erwachsener Mann Schlussfolgerungen zog, die uns Chemikern einiges erleichtert haben: Jean-Baptiste Perrin. Ich muss gestehen, dass mir dieser Mensch, der zum erfolgreichen Physiker heranwuchs und 1926 sogar den Physik-Nobelpreis erhielt, bislang gänzlich unbekannt war.

Perrin bescherte uns 1909 die Avogadro-Konstante NA. Das ist die Zahl, an der viele Schüler im Chemieunterricht verzweifeln und die unzähligen Chemikern die genaue Portionierung ihrer Stoffe für eine geplante chemische Reaktion ermöglicht: 6,022 x 1023. Bevor es dazu kam, beschäftigte sich Perrin mit Kolloiden und ihren Eigenschaften und bestätigte im Versuch die Theorie von Albert Einstein, dass gelöste Teilchen den gleichen Gesetzen gehorchen wie Gase.

Das Gesetz, dass gleiche Volumina verschiedener idealer Gase bei gleicher Temperatur und gleichem Druck die gleiche Anzahl von Teilchen enthalten, hatte der Physiker Amedeo Avogadro bereits 1811 veröffentlicht. Darin folgerte er, dass die Teilchen in elementaren Gasen nicht Atome, sondern Moleküle sein müssten. Weil er mit dieser Theorie dem erfolgreichen Atommodell von Dalton widersprach, blieb seine Arbeit aber noch lange Zeit unbeachtet. Erst 1860 - 4 Jahre nach seinem Tod - wurde Avogadros Theorie beim Karlsruher Chemiekongress anerkannt.

Jean-Baptiste Perrin führte umfangreiche Experimente zur Bestätigung der Hypothese von Avogadro durch. Er untersuchte unter anderem die Brownsche Bewegung von kleinen Partikeln in einer Flüssigkeit, was zur Bestätigung der Existenz von Atomen und Molekülen beitrug.

Durch genaue Analysen und mit Hilfe mathematischer Modelle konnte Perrin schließlich ermitteln, wie viele Teilchen in 1 Mol eines Stoffes enthalten sind. Der Begriff Mol stand zu dieser Zeit für die Stoffmasse. Die Anzahl der Teilchen in 1 Mol eines Stoffes bewies Perrin als Naturkonstante, die er, seinem verstorbenen Vordenker Amedeo Avogadro zu Ehren, Avogadro-Konstante nannte.

Anhand seiner Berechnungen erhielt Perrin den Wert 6,02 x 1023, der der modernen Definition der Avogadro-Konstante sehr nahekam. Im Jahr 2019, also 110 Jahre später, ermittelte die 26. Generalkonferenz für Maß und Gewicht den genauen Wert. Mit deutlich besseren Messtechniken als zu Perrins Zeiten wurde die Avogadro-Konstante mit 6,02214076 x 1023 berechnet.

Das Mol beschreibt mittlerweile keine Masseneinheit mehr, sondern ist die SI-Einheit für die Menge eines Stoffes. Die Stoffmenge von 1 Mol enthält genau 6,02214076 x 1023 - das sind rund 602 Trillionen - Elementarteilchen. Die Größe der Zahl, eine 6 mit 23 Nullen, übersteigt die Vorstellungskraft der meisten Menschen, so auch meine. In dem Kurzfilm "The Power of Ten" von Charles und Ray Eames aus dem Jahr 1977 bekommt man einen ungefähren Eindruck davon, in welchen Dimensionen sich 1023 bewegt.

Da diese unvorstellbare Menge an Teilchen niemand zählen will - und auch nicht innerhalb eines überschaubaren Zeitraums könnte - bestimmt der Chemiker anhand der Atom- oder Molekülmasse, wie viel 1 Mol eines Stoffes wiegt. Braucht er zum Beispiel 1 Mol Wasser, so weiß er, dass die Molekülmasse von Wasser 18 u beträgt. Also wiegt er 18 g Wasser ab und hat genau die Teilchenzahl, die er braucht, nämlich 1 Mol. Vergleichbar ist dieses Vorgehen mit der Zubereitung von Reis. Hier zählt man ja auch nicht 265.378 Reiskörner in den Topf, sondern wiegt 200 g ab.

Den "Köchen" der Chemie hilft also die mittels Theorien und Experimenten von Avogadro und Perrin ermittelte Zahl dabei, die richtigen Massenverhältnisse für chemische Reaktionen zu ermitteln. Und den zahllosen Schülern, die sich im Unterricht mit chemischem Rechnen, Avogadro und Stoffmengen herumschlagen müssen, sei gesagt:

Zahlen sind das zuverlässigste Mittel zur Bewertung der Wirklichkeit.
Wladimir Iljitsch Lenin (1870-1924)

» Kurzfilm "The Power of Ten"

» Wie groß ist ein Mol?

» Mehr zur Avogadro-Konstante

Autor:  

Anke Fähnrich

Anke Fähnrich


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