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20.05.2024

29.06.2023

Immer der Nase nach

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Nase
Bild: pixabay[CCO]
Vor 10 Jahren erklärte Matti Niebelschütz, Gründer der online Plattform MyParfum, den 27. Juni zum "Weltdufttag". Ein gelungener Marketing-Gag, der immer noch von diversen Parfümerien zelebriert wird, aber auch ein Anlass, sich die Wirkung der Düfte bewusst zu machen.

Gerüche aller Art beeinflussen unser Leben mehr als wir bemerken. Die in Marcel Prousts Roman "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit" beschriebene Verknüpfung von Gerüchen mit Erinnerungen an längst vergangene Ereignisse hat es als "Proust Effekt" sogar bis ins Lexikon der Psychologie geschafft.

Angenehme aber auch schreckliche Erinnerungen stehen ganz präsent wieder vor uns, wenn wir bestimmte Gerüche wahrnehmen. Dieser Effekt hat bestimmt auch Sie schon mal ereilt, wenn Sie sich zum Beispiel beim Duft von frisch gebackenem Streuselkuchen gedanklich plötzlich in Omas gemütlicher Küche wiederfinden. Er wird sogar bei Amnesie-Patienten eingesetzt, um ihre Erinnerungen wiederzubeleben.

Dass wir Menschen "nicht riechen" können, ist nicht nur ein geflügeltes Wort für unsympathische Leute, sondern liegt an den Pheromonen. Das sind chemosensorische Reize, also Duftstoffe, die wir zwar wahrnehmen, aber nicht riechen können. Anstatt uns in der Nase zu stechen wie ein ekliger Geruch, der uns beispielsweise vor verdorbenen Lebensmitteln warnt, steuern die Pheromonrezeptoren unser Empathiezentrum und beeinflussen unsere bewussten Entscheidungen mit. So versprüht Angstschweiß einen Geruch, der eine fest im Gehirn verankerte Reaktion auslöst, die bewirkt, dass wir aufmerksamer werden. Aus der Mode gekommen sind allerdings so genannte "Pheromon-Partys", auf denen man anhand ungewaschener T-Shirts, die mit Nummern versehen werden, durch intensives daran Riechen den perfekten Partner finden sollte. - Ich persönlich würde einen gut gereiften Münsterländer-Käse einer solchen Party vorziehen.

Auch die Neurowissenschaften beschäftigen sich zunehmend mit der Erforschung der Geruchsprozesse. Gerüche wecken nicht nur Erinnerungen. Sie werden mittlerweile auch bei beginnender Demenz als Gedächtnisstütze angewandt. Menschen mit posttraumatischer Belastungsstörung, die von Gerüchen in ihre Stresssituation zurückversetzt werden, lernen, sich mit angenehmen Gerüchen abzulenken.

Wie die Verknüpfung von Geruch und Empfindungen genau zusammenhängt, ist noch nicht abschließend geklärt. Möglicherweise liegt es daran, dass das Geruchszentrum ziemlich nah der Amygdala, der auch als Mandelkern bezeichneten Region für Emotionen verortet ist. Unser Gehirn könnte daher Gerüche nach Gefühlsregungen beurteilen und anschließend im benachbarten Hippocampus verarbeiten und als Erinnerung anlegen. Fest steht aber, dass jedes Duftmolekül im Gehirn zusammen mit der Stimmung abgespeichert wird, in der sich der Riechende gerade befindet. So bekommt jeder Duft einen persönlichen Stempel, je nachdem, ob der Moment des Wahrnehmens positiv oder negativ erlebt wird.

Unseren Eigengeruch aufzuwerten, ist offensichtlich ein menschliches Bedürfnis. Warum sonst, haben Parfüms und Körperpflegemittel mit intensivem Duft einen so hohen Stellenwert? Patrick Süskind gelang mit seinem Roman "Das Parfüm" sogar ein Bestseller zu diesem Thema, der in 48 Sprachen übersetzt und weltweit bereits mehr als 20 Millionen Mal verkauft wurde.

Trotzdem führt das Riechen scheinbar ein Schattendasein im Vergleich zum Sehen, Hören und Fühlen. In unserem Sprachgebrauch ist es dennoch allgegenwärtig. Etwas "stinkt meilenweit gegen den Wind", man "schnüffelt in fremden Angelegenheiten" herum oder lässt sich "an der Nase herumführen". Ein besonders bemerkenswerter Aphorismus zu diesem Thema hat Goethe verfasst.
Man sagt: "Eitles Eigenlob stinkt". Das mag sein; was aber fremder und ungerechter Tadel für einen Geruch hat, dafür hat das Publikum keine Nase.
Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832)
Das ist sehr wahr. Ungerechter Tadel hat sicher schon viele hart getroffen. Und auch wenn er nicht zu riechen ist, sollte es den einen oder die andere dazu animieren, sich einmal an "die eigene Nase zu fassen".

» So beeinflussen uns Pheromone wirklich

» Wie der Geruchssinn menschliches Verhalten steuert

Autor:  

Anke Fähnrich

Anke Fähnrich


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