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30.05.2024

23.03.2023

DDT - vom Wundermittel zum Teufelszeug

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DDT Anwendung 1953
Sorglose Anwendung von DDT in den 1950ern
(Bild Bundesarchiv [CC BY-SA])
Wir schreiben das Jahr 1948: Als erster Nicht-Mediziner freut sich der Schweizer Chemiker Paul Hermann Müller über die Auszeichnung mit dem Nobelpreis für Physiologie oder Medizin "für die Entdeckung der starken Wirkung von DDT als Kontaktgift gegen mehrere Arthropoden". Bei dieser Auszeichnung handelt es sich zwar nicht um die erste, aber eine der populärsten Fehleinschätzung zum Verhältnis von Nutzen und Risiken einer chemischen Substanz.

Neun Jahre zuvor, 1939, hatte Müller erkannt, dass die chemische Verbindung mit der sperrigen Bezeichnung Dichlordiphenyltrichlorethan - besser bekannt als DDT - ein hochwirksames und dazu sehr preiswertes Mittel gegen Insekten ist. Da es für Säugetiere, also auch den Menschen, nahezu ungiftig schien, erfuhr DDT seit Beginn der 1940 Jahre einen weltweiten Boom, der aus heutiger Sicht betrachtet, absurde Züge annahm. Neben großflächiger Verteilung über Äcker und Felder, wie sie auch heute noch mit Pestiziden durchgeführt werden, wurden DDT-haltige Sprays großzügig in Haus und Wohnung und auch gerne direkt auf Personen gesprüht.

Ungezieferbekämpfung mit DDT
Ungezieferbekämpfung im
Zweiten Weltkrieg
(Bild gemeinfrei [CCO])
Soldaten im Zweiten Weltkrieg nutzten sie wie Deosprays, um gegen Kleider- und Filzläuse vorzugehen. Einwanderer und Kriegsflüchtende wurden prophylaktisch mit DDT begast, um Ungeziefer auszumerzen. In den USA fuhr der "Spray Man" mit seinem Auto durch die Wohnsiedlungen, gefolgt von einer Wolke DDT und Kindern auf ihren Fahrrädern, die möglichst viel DDT einatmen wollten, da es angeblich sogar vor Polio schützte.

Im Kampf gegen Malaria wurde DDT in tropischen Ländern erfolgreich gegen die übertragenden Mücken eingesetzt. Um die misstrauische Bevölkerung von der Harmlosigkeit des Mittels zu überzeugen, schrecken Mitarbeiter des öffentlichen Gesundheitswesens der Kolonialisten nicht einmal davor zurück, mit DDT besprühte Speisen zu verzehren.

Bereits Mitte der 1950er Jahre kamen erste Zweifel an der Unbedenklichkeit des "Wundermittels" auf. Auch wenn DDT für Säugetiere durch orale Aufnahme nur in vergleichbar hohen Dosen tödlich ist, so hat es die unangenehme Eigenschaft sich im Fettgewebe anzureichern und hier, auch mit Hilfe seiner Abbauprodukte, hormonähnlich zu wirken.

Durch die Einlagerung im Fettgewebe von Insektenfressern reichert sich DDT im Laufe der Nahrungskette in immer größeren Mengen im Körper an, was nicht ohne Folgen blieb. Bei Greifvögeln, die sich bekanntermaßen am Ende der Nahrungskette befinden, bemerkte man, dass DDT und seine Metabolite den Calciumhaushalt beeinflussen. Im Ergebnis legten sie daher Eier mit so dünnen Schalen, dass diese beim Brüten zerbrachen, was einige Arten - auch das amerikanische Wappentier, den Weißkopfseeadler - an den Rand des Aussterbens brachte.

Da auch der Mensch am Ende der Nahrungskette steht und sich zusätzlich, wie oben beschrieben, dem DDT geradezu inflationär aussetze, verwundert es nicht, dass auch hier bald erkannt wurde, dass das Insektizid doch nicht so harmlos ist, wie angenommen. DDT geriet unter den Verdacht Krebs auszulösen und ist in den westlichen Industrieländern seit den 1970er Jahren verboten. Nur in Malariagebieten darf es noch, unter weitaus strengeren Auflagen und in erheblich geringerer Menge als in den Anfängen, zur Bekämpfung der Anophelesmücke eingesetzt werden.

In den Jahren 1940 bis 1972 wurden laut Schätzungen des Bayerischen Landesamtes für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit ungefähr 2 Millionen Tonnen DDT in die Umwelt gebracht. Das hat zur Folge, dass auch 50 Jahre nach Ende des Booms buchstäblich an allen Ecken und Enden der Welt DDT zu finden ist, mit immer noch weitreichenden, teilweise unerforschten Folgen. Der Einfluss auf den Hormonhaushalt ist mittlerweile unumstritten. Wirkt DDT in höheren Konzentrationen über einen längeren Zeitraum auf ein Lebewesen, weil es eben kein Insekt ist und nicht sofort stirbt, so wird das Hormon Östrogen verstärkt, was zur Verweiblichung führen kann. Zudem blockiert das im Körper entstehende Abbauprodukt Dichlordiphenyldichlorethen (DDE) die männlichen Hormone.

Eine Studie des US-amerikanischen Public Health Institute aus dem Jahr 2021 beschreibt die Wirkung des Giftes über Generationen hinweg. Laut dieser Studie haben Enkelinnen, deren Großmutter während ihrer Schwangerschaft DDT ausgesetzt war, deutlich häufiger Probleme mit Fettleibigkeit. Da die im Fettgewebe der Mutter eingelagerten Substanzen über die Plazenta bereits an das ungeborene Kind weitergegeben werden, ist diese generationenübergreifende Wirkung möglich, auch wenn es keine weitere Exposition gab. Nach wie vor ist nicht ausgeschlossen, dass DDT Krebs auslösen oder das Erbgut schädigen kann und es gibt Vermutungen, dass es auch im Zusammenhang mit Alzheimer steht. Vom Wundermittel zum Teufelszeug - daraus sollte man lernen, oder nicht?

Geschichte lehrt, dass wir noch nie irgendetwas aus der Geschichte gelernt haben.
Georg W. F. Hegel (1770-1831)
wusste schon der Philosoph Hegel Ende des 18. Jahrhunderts. So ist es nicht verwunderlich, dass die Menschheit eben nichts aus der Erfahrung mit DDT oder anderen Stoffen gelernt hat. Bisphenol-A, Glyphosat, die zurzeit die Medien dominierenden PFAS, aber auch Kunststoffe, die als Mikroplastik mittlerweile ebenfalls ubiquitär vorkommen, sind nur einige prominente Beispiele für Errungenschaften der Menschheit, die nach anfänglichem Höhenflug Probleme mit sich bringen, die uns noch lange beschäftigen werden oder uns möglicherweise sogar überdauern.

Natürlich haben diese Stoffe zunächst auch ihren Ruhm verdient. So hat, um beim Beispiel zu bleiben, DDT Millionen durch Malaria bedrohter Menschen das Leben gerettet und tut dies auch heute noch. Trotzdem ist es immer notwendig, neue Materialien und Substanzen auch über lange Zeiträume kritisch zu betrachten und Konsequenzen zu ziehen, wenn erkannt wird, dass Nutzen und Risiko (doch) nicht in einem angemessenen Verhältnis stehen. Leider wird aber zu oft nicht das Risiko für Mensch und Natur, sondern der wirtschaftliche Gewinn großer Konzerne am intensivsten betrachtet. Und das mit teils unkalkulierbaren, möglicherweise katastrophalen Folgen für unsere nachfolgenden Generationen.

» Weitere Informationen über DDT

» Zeitungsartikel: "DDT schädigt Seen bis heute"

» Problem: Resistenzen

Autor:  

Anke Fähnrich

Anke Fähnrich


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