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20.05.2024

20.10.2022

Schmeckt's?!

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Karikatur von 1906
Karikatur von 1906 zur Verabschiedung
des "Pure Food and Drug Act" [CCO]
Möglichst naturbelassene Nahrungsmittel, ohne (schädliche) Zusatzstoffe sind mittlerweile buchstäblich in aller Munde bzw. auf den meisten Tellern zu finden. Seit den späten 1950er und 1960er Jahren erfreuten sich dagegen über lange Zeit Fertiggerichte wie Dosen-Ravioli, Mehr-Komponenten-Tiefkühl-Menüs oder später Mikrowellen Tellergerichte großer Beliebtheit.

Heutzutage greift kaum jemand, der etwas auf sich hält, weiterhin zu Konserven oder stark verarbeiteten Lebensmitteln. Stattdessen ist es en vogue, mindestens eine Mahlzeit pro Tag selbst zuzubereiten, möglichst aus frischen saisonalen und regionalen Zutaten - bestenfalls aus biologischem Anbau. Das ist auch gut so! Denn die Inhaltsstoffe vieler Fertiggerichte sind nicht so lecker, wie sie das Lebensmittel, in dem sie sich befinden, aussehen lassen.

Dass Lebensmittel kontrolliert und Konservierungs- und andere Zusatzstoffe einer kritischen Betrachtung unterzogen werden, haben wir einem wenig bekannten Amerikaner zu verdanken: Harvey Washington Wiley, Arzt und Chemiker aus Jefferson County in Colorado. Wiley wurde am 18. Oktober 1844 als Sohn eines Farmers geboren und ging als Vater der amerikanischen Lebensmittelüberwachung, Food and Drug Administration (FDA), in die Geschichte ein.

In den 1880er Jahren begann Wileys Kampf gegen ungesunde, teils schädliche "Lebensmittel", die auf dem amerikanischen Markt von skrupellosen Geschäftsleuten vertrieben wurden. Um die Gewinnmarge zu maximieren, wurden eigentlich hochwertige Produkte mit billigen Ersatz- und Füllstoffen gestreckt (das kommt uns auch heute noch bekannt vor...), die nicht auf dem Etikett vermerkt wurden (...das zumindest hat sich mittlerweile geändert). Beispielsweise wurde Honig mit Glukosesirup versetzt oder "Olivenöl" aus Baumwollsamen gepresst.

Bis zur Jahrhundertwende brachte Wiley - mittlerweile Chefchemiker des Landwirtschaftsministeriums - zahlreiche Gesetzesentwürfe in den Kongress ein. Sein Ziel war es, Unappetitlichkeiten wie mit Formaldehyd aufgepeppte Milch oder gleichermaßen behandeltes "Gammelfleisch" zu unterbinden oder zu verhindern, dass Dosen-Erbsen durch Kupfersulfat eine frische grüne Farbe erhielten. Allerdings blockierte die mächtige Lebensmittel-Lobby getreu dem Motto

Konservierung ist die Kunst, Lebensmittel dergestalt zu behandeln, dass selbst Bakterien sie als ungenießbar ansehen.
unbekannt

über lange Zeit erfolgreich Wileys Eingaben, so dass die Gesetze nie zur Anwendung kamen. Daher griff er schließlich zu sehr drastischen Maßnahmen.

Mit einem - für die damalige Zeit recht üppigen - Budget von 5.000 Dollar startete er im Jahr 1902 einen Aufruf an gesunde, gut ausgebildete junge Männer. Sie sollten für einen Monatslohn von 5 Dollar und jede Menge frisch zubereiteter Mahlzeiten an einem Versuch zur Wirkung von Zusatzstoffen auf die menschliche Gesundheit teilnehmen.

Es meldeten sich viele Freiwillige, darunter Sportler, Beamte und Wissenschaftler, von denen zwölf die zweifelhafte Ehre zuteilwurde, am Projekt "hygienic table" teilzunehmen. Sie konsumierten fortan und bis zum Beweis der Schädlichkeit eines Zusatzstoffes bewusst und mit voller Absicht erhebliche Mengen an Borax, Schwefelsäure, Salpeter, Formaldehyd und Kupfersulfat - immer verpackt in mit Liebe und Sorgfalt zubereitete Menüs.

Die Gruppe fand in den Medien und der Öffentlichkeit als "Poison-Squad" große Aufmerksamkeit und stand unter ständiger medizinischer Beobachtung. Allerdings in erster Linie nicht zum Wohle der Probanden, sondern zur Beweisführung für Wileys Versuchsreihen. Letztlich führten diese - nicht nur aus heutiger Sicht - ethisch zweifelhaften Versuche im Jahr 1906 zum "Pure Food and Drug Act" und damit dem ersten Gesetz zum Verbot von Zusatzstoffen in Lebensmitteln, das von Präsident Theodore Roosevelt unterzeichnet und eingeführt wurde.

Mittlerweile sind die amerikanische FDA und das europäische Pendant, die EFSA, zuständig für die Lebensmittelsicherheit und -überwachung und auch, wenn die Lebensmittelindustrie oftmals immer noch mehr am Gewinn denn an der Gesundheit der Verbraucher interessiert ist, so hat sich doch einiges getan.

Wir als mündige Bürger sind natürlich trotzdem angehalten, uns über unser Essen zu informieren und Lebensmittel-Panschern gegebenenfalls die Rote Karte zu zeigen. Wie so oft bestimmt auch hier die Nachfrage das Angebot - wir haben es also in der Hand, bevor wir es in den Mund nehmen.

» Über Harvey W. Wiley

» Informationen zu Lebensmittelzusatzstoffen (EFSA)

» Tricks der Lebensmittelindustrie mit Sebastian Lege

Autor:  

Anke Fähnrich

Anke Fähnrich


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