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20.05.2024

15.09.2022

Glasklare Sache

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Glas
Bild: PxHere [CCO]
Ein alltäglicher und nicht aus unserem Gebrauch wegzudenkender Stoff wird in diesem Jahr geehrt: 2022 ist das "International Year of Glass". So hat es der UN-Generalrat beschlossen, um dessen wissenschaftliche, wirtschaftliche und kulturelle Rolle zu würdigen. Grund genug für einen genaueren Blick auf diesen spannenden Werkstoff.

Sitzen wir gemütlich bei einem Glas Wein und nehmen kurz unsere Lesebrille von der Nase, um den Sonnenuntergang durch das Fenster zu betrachten, so haben wir es bereits mit drei völlig unterschiedlichen Anwendungsmöglichkeiten von Glas zu tun, ohne etwas davon zu bemerken.

Die meisten Glasarten bestehen hauptsächlich aus gewöhnlichem Quarzsand, also Siliziumdioxid, welcher weit davon entfernt ist, transparent oder lichtdurchlässig zu sein. Damit der Werkstoff durchsichtig wird, muss das Siliziumdioxid zunächst geschmolzen werden. Dafür braucht es eine Temperatur von mehr als 1.700 °C. Wird die Schmelze schnell wieder abgekühlt, so entsteht Glas, ein amorpher Stoff - quasi eine "erstarrte Flüssigkeit". Durch das schnelle Abkühlen haben die Moleküle keine Zeit, sich in einem gleichmäßigen Kristallgitter anzuordnen, sondern erstarren sozusagen unordentlich, mit unregelmäßigen Bindungslängen und -winkeln. Anstatt wie bei einem Kristall in einem regelmäßigen Gitter, sind die Atome und Moleküle im Glas zufällig angeordnet - wie in einer Flüssigkeit, nur bewegungsunfähig.

Die wohl wichtigste Eigenschaft von Glas ist seine Transparenz. Alles andere wäre bei den oben genannten Anwendungsbeispielen - Weinglas, Brille, Fenster - auch ziemlich hinderlich. Auch sie ist durch die Struktur und Anordnung der Atome zu erklären. Die Elektronen, die einen Atomkern umkreisen wie Planeten die Sonne, werden von den Molekülen des Siliziumdioxids so stark festgehalten, dass die Energie des sichtbaren Lichts nicht ausreicht, um mit ihnen in Wechselwirkung zu treten. Die "Lichtteilchen", die Photonen, werden daher nicht absorbiert und können das Glas quasi unverändert passieren. Im Ergebnis erscheint uns das Glas durchsichtig.

Auch die Beständigkeit gegenüber anderen Stoffen ist eine wichtige Eigenschaft von Glas. Daher findet es nicht nur im Haushalt und für Lebensmittel, sondern auch im Labor für fast alle Chemikalien Anwendung als Vorrats- und Lagergefäß.

Durch den Zusatz unterschiedlicher Verbindungen können dem Glas verschiedenste Eigenschaften verliehen werden. Farbigkeit erreicht man durch das Vermischen der Schmelze beispielsweise mit Eisen- oder Kupferoxiden. Die hohe Brillanz des Bleikristalls entsteht durch den Zusatz von Blei(II)oxid und die besondere Temperaturwechselbeständigkeit von Duran®- oder Pyrex®-Glas mittels Bortrioxid.

Den Wert dieses relativ kostengünstigen, aber umfassend einzusetzenden Werkstoffs hat bereits vor knapp 200 Jahren der Schriftsteller Theodor Fontane erkannt und - auch, wenn er es wahrscheinlich als Metapher verstand - sehr passend formuliert:

Es gibt Wichtigeres als Gold. Glas zum Beispiel halte ich für nützlicher.
Theodor Fontane (1819-1889)
Die Geschichte des Glases ist so alt wie die Erde selbst. Schlägt ein Blitz in sandigen Grund ein oder bricht ein Vulkan aus - was im Anfangsstadium der Entstehung unseres Planeten recht häufig der Fall war - so können durchaus Temperaturen entstehen, wie sie zur Glasherstellung benötigt werden. Bereits in der Jungsteinzeit stellten die Menschen Speerspitzen, Klingen und Schmuck aus Vulkanglas, sogenanntem Obsidian, her. Die Glasproduktion, die vermutlich vor 5.000 Jahren zufällig beim Brennen von Töpferware entdeckt wurde, entwickelte sich im zweiten Jahrtausend v.Chr. in Ägypten, Tirol, China und Griechenland gleichzeitig und unabhängig voneinander weiter. Erste von Menschen produzierte reine Glasgefäße datieren um 1.500 v.Chr.

Damit war der Siegeszug des Werkstoffs nicht mehr aufzuhalten und er ist bis heute allgegenwärtig: Von kunstvollen Schmuckgegenständen und Murano-Glas über Alltagsgegenstände wie Trink- oder Marmeladen-Gläser, Laborgeräten und -gefäßen bis hin zu optischen Spezialgläsern in Mikroskopen, Brillen und Kameras, die auf Entwicklungen des Chemikers Otto Schott zurückzuführen sind, oder den Einsatz in Photonik und Raumfahrttechnik. Es gibt wohl kaum jemanden, der auf Glas verzichten möchte.

» Mehr über Glas

» Webseite zum International Year of Glass

Autor:  

Anke Fähnrich

Anke Fähnrich


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