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29.05.2024

02.06.2022

Achtsamkeit als Allheilmittel?

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Bild: pixabay[CCO]
Stress im Job und im Alltag - das ist den meisten Menschen bekannt. Er ist verhasst, macht unzufrieden und führt nicht selten zu Depressionen und Burnout. Seit einigen Jahren gibt es offensichtlich ein Allheilmittel dagegen: Achtsamkeit. Unzählige Start-Ups, Coachings und Fortbildungen sind seitdem geradezu wie Pilze aus dem Boden geschossen, um uns Achtsamkeit zu lehren.

Brauchen wir dazu wirklich Coaches? Müssen wir lernen, wie wir optimal achtsam sind? Konterkarieren solche Kurse nicht den Sinn von Achtsamkeit?

Die Lehre zur Achtsamkeit hat ihre Wurzeln im Buddhismus. Hier bedeutet Achtsamkeit nicht nur Bewusstsein des Selbst, sondern auch Herzlichkeit und Mitgefühl. Nun würde ich mich nicht als ausgesprochenen Kenner des Buddhismus bezeichnen, aber meine Kenntnisse gehen doch soweit, dass ein Grundsatz dieser Lehre ist, dass das Leid der Menschen in erster Linie dadurch verursacht ist, dass sie immer mehr besitzen und erreichen wollen.

Liest man einschlägige Karriere-Ratgeber oder schaut auf die Philosophie jung-dynamischer Firmen, wird Achtsamkeitstraining allerdings anders interpretiert: Durch Achtsamkeit und Meditation sollen Mitarbeiter lernen, mit Stress und hohem Arbeitspensum besser umzugehen. Achtsamkeit als Form der Selbstoptimierung und Leistungssteigerung? Nicht die Ursachen des Stresses infrage stellen, sondern die Fähigkeit, damit umzugehen? Irgendjemand hat hier meiner Meinung nach etwas ziemlich missverstanden!

Achtsamkeit verlangt, dass man sich auf den Augenblick - das Hier und Jetzt - besinnt und eine beobachtende, wertfreie Haltung einnimmt. Beispielsweise bewusst wahrnimmt, was man isst, statt schnell das Essen hinunterzuschlingen und dabei noch ins Smartphone zu schauen. Oder in der Mittagspause die Sonne zu genießen, falls möglich die Natur zu betrachten und bewusst ein- und auszuatmen. Aber auch ein Gespür dafür zu bekommen, ob das anstehende Arbeitspensum angemessen ist oder nicht. Egal ob man sich selbst unter Druck setzt oder es vom Chef aufgebrummt wurde.

Sich auf die eigenen Bedürfnisse zu konzentrieren, den aktuellen Moment bewusst und wertfrei erleben, ohne sich gedanklich mit der To-Do-Liste des Tages oder dem letzten Meeting zu beschäftigen, ist gar nicht so einfach. Aber genau das bedeutet achtsam sein.

Du kannst die Wellen nicht stoppen, aber du kannst lernen zu surfen.
Jon Kabat-Zinn (*1944)
lautet ein Credo des Molekularbiologen Jon Kabat-Zinn, der Achtsamkeitspraxis in Medizin und Gesellschaft etablierte und Menschen helfen möchten, mittels Achtsamkeitsmeditation einen besseren Umgang mit negativen Gefühlen und Ereignissen zu erlernen.

Dabei ist es wichtig, dass Achtsamkeit nicht dazu führt, dass das eigene Wohlbefinden nur durch eiserne Selbstdisziplin erreicht werden kann. Sinn und Zweck von Achtsamkeitsmeditation sind nicht Leistungssteigerung oder blind-ergebenes Akzeptieren der Umstände, sondern sie hat das Bewusstsein für eigene Bedürfnisse zum Ziel. Auch wenn man durch Achtsamkeit letztendlich in erster Linie Zufriedenheit erreichen möchte: Ärger, Wut und Empörung sind ebenso wie Traurigkeit oder Hilflosigkeit wichtige Emotionen, die Raum brauchen, damit Wandel möglich ist. Und nur so kann sich jeder Einzelne, wie auch die Gesellschaft entwickeln und wachsen.

» Über Achtsamkeit

» Informationen zu Jon Kabat-Zinn

Autor:  

Anke Fähnrich

Anke Fähnrich


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