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29.05.2024

26.01.2021

Risiken neuer Materialien frühzeitig erkennen

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Druckbare Bauteile, Leichtbauelemente für Autos oder Nano-Carrier-Systeme in Kosmetika und Lebensmitteln - solche innovativen funktionellen Materialien bezeichnet die Materialforschung als "Advanced Materials" (AMs). Sie haben besondere Eigenschaften auf atomarer oder molekularer Ebene und ein großes Anwendungspotenzial in den Bereichen Wissenschaft, Technik und Medizin.

Der Terminus umfasst beispielsweise Nanomaterialien mit speziellen elektrischen oder optischen Eigenschaften oder Biomaterialien, die in der Zellkultur oder bei der Medikamentenabgabe eingesetzt werden können. Damit grenzen sich AMs von den sogenannten konventionellen Materialien wie Metall, Beton und Plastik/Kunststoff ab. Die Entwicklung von AMs wird im Rahmen des Forschungsprogramms Horizon 2020 der Europäischen Union und der Materialdachstrategie des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert.

Diese funktionellen Materialien gelten als eine Schlüsseltechnologie, um eine führende Rolle der europäischen und somit auch deutschen Industrie im globalen Wettbewerb zu garantieren und zur Steigerung des Wachstums in Europa beizutragen. Vor diesem Hintergrund sollen frühzeitig auch mögliche Gesundheits- und Umweltrisiken erkannt werden, die von den neuen Materialien ausgehen könnten. Deswegen wurde die behördenübergreifende Arbeitsgemeinschaft "Advanced Materials" unter der Leitung des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) etabliert.

Sie soll den zukünftigen Umgang mit dieser vielfältigen und unüberschaubaren Materialklasse regulatorisch und von Seiten der gesundheitlichen Bewertung und Risikofrüherkennung beleuchten. Das Auftaktgespräch mit teilnehmenden Personen aus Ministerien, Behörden und Forschungsinstituten fand am 4. und 5. November 2020 in digitaler Form statt. Die Arbeitsgemeinschaft will einen Überblick über AMs erlangen, verschiedene Anwendungsfelder betrachten und Kategorisierungskonzepte entwickeln. Parallel geht es um die Risikofrüherkennung.

Der grundlegende Ansatz dabei ist, nicht alle sogenannten "Advanced Materials" (AMs) als Ganzes zu betrachten, sondern vielmehr einzelne, besorgniserregende Materialen anhand wissenschaftlicher Kriterien zu identifizieren. Damit dies gelingen kann, wird die Arbeitsgruppe auch Kriterien für die Risikofrüherkennung entwickeln. Diese Kriterien unterstützen das Risikomanagement und informieren politische Entscheidungsträger im Hinblick auf nötige Anpassungen, beispielsweise für die Regulation. Weiterentwickelte AMs gelten weltweit als Schlüsseltechnologie, was sich auch in der zunehmenden Forschung in diesem Gebiet widerspiegelt.

Die EU-Kommission geht davon aus, dass mit der Entwicklung von AMs die EU-Wirtschaft zu einer klimaneutralen Wirtschaft transformiert werden könnte. Eine der ersten EU-Aktivitäten war der 2013 zu dieser Thematik veröffentlichte DAMADEI-Bericht. DAMADEI steht für Design and Advanced Materials as a driver of European Innovation. In dem Bericht heißt es u. a.: "Wir treten in eine neue Ära ein, in der Produkte ...von unsichtbaren Kräften, komplexer Wissenschaft und neuen Fertigungsmethoden geprägt sein werden. ...Das sind keine Science-Fiction-Geschichten, sondern es geht hier um echte Anwendungen für das tägliche Leben - ein Fahrzeug zum Mond, Werkzeuge für Gehirnoperationen, Anwendungen für Nahrungsmitteln, die wir essen. In all diesen Produkten können fortschrittliche Materialien und Prozesse zum Einsatz kommen."

Die Bundesregierung hat sich in ihrer Hightech-Strategie ebenfalls zu AMs positioniert. Das Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) hat in seinem Impulspapier zur Materialforschung die deutsche Position konkretisiert. So verspricht man sich von der Materialwissenschaft technische Lösungen für wichtige globale Herausforderungen, u.a. in den Bereichen Klima, Medizin, Energie. Gleichzeitig stellt sich die Frage nach der Sicherheit von innovativen Materialien für die Umwelt und den Menschen.

Um Risiken, die von AMs ausgehen könnten, frühzeitig zu erkennen und regulatorische Maßnahmen ableiten zu können, wurde in Deutschland die behördenübergreifende Arbeitsgruppe "Advanced Materials" eingerichtet.

Behördenübergreifende Arbeitsgruppe Advanced Materials

Am 4. und 5. November 2020 lud das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) zum Auftaktgespräch der "Advanced-Materials"-Arbeitsgruppe ein. Die Leitung der Arbeitsgruppe liegt beim BfR. Folgende Ministerien, Behörden und An-Institutionen haben teilgenommen:

Das Bundesministerium für Umwelt (BMU), das Bundesministerium für Wirtschaft (BMWi) sowie die Bundesanstalt für Arbeitsmedizin und Arbeitsschutz (BAuA). Das Umweltbundesamt (UBA), die Bundesanstalt für Materialprüfung (BAM), die Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB), das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL). Das Institut für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (IFA) und das Institut für Prävention und Arbeitsmedizin der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (IPA).

Unterstützt wird die Arbeitsgruppe des Weiteren vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL), dem Bundesministerium für Gesundheit (BMG), dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS), dem Bundesministerium für Verteidigung (BMVg) und dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF).

Erste Arbeitsschritte der Arbeitsgruppe

Auf der Auftaktsitzung stand der Austausch über ein gemeinsames Verständnis und über das sehr große Themengebiet der "Advanced Materials" im Mittelpunkt. Die teilnehmenden Personen haben sich zu einer praktikablen Arbeitsdefinition verständigt, welche Materialien unter den Begriff AMs fallen und damit betrachtet werden. Des Weiteren wurde über mögliche Kategorisierungskonzepte diskutiert. Viele AMs sind bereits am Markt, d. h. sie werden bereits in Produkten eingesetzt, weitere sind in fortgeschrittener Entwicklung.

Beispiele sind druckbare elektronische Bauteile; Leichtbauelemente für den Flugzeug- oder Fahrzeugbau; Nano-Carrier-Systeme in der Medizin oder als Bestandteil von Kosmetika und Lebensmitteln. Zudem kommen sie bei Pflanzenschutzmitteln oder Bioziden zum Einsatz. Weitere Beispiele von AMs sind aktive und intelligente Polymere für Verpackungen oder funktionale Textilien. Auch Materialien, welche mit fortschrittlichen Herstellungsmethoden wie z. B. 3-D-Druckverfahren hergestellt wurden, gelten als "advanced"-Materialien. Die AG plant, dieses riesige und unüberschaubare Einsatzgebiet von AMs zu sortieren, um auf dieser Grundlage sinnvolle Kategorisierungsansätze zu entwickeln, abzustimmen und anzuwenden.

Die größte Herausforderung der Arbeitsgruppe ist es, aus den vielen verschiedenen Materialien jene "herauszufiltern", bei welchen eine berechtigte Besorgnis hinsichtlich ihrer Wirkung auf die Umwelt oder Gesundheit besteht. Bei diesen muss dann geprüft werden, inwieweit bestehende gesetzliche Regelwerke greifen und ggf. dort, wo Lücken identifiziert werden, sollen Handlungsoptionen entworfen werden. Die AG will zukunftsweisende Konzepte für das Screening von AMs, die Risikofrüherkennung sowie zum generellen Umgang mit AMs erarbeiten. Eine frühzeitige behörden-, schutzgut- und ressortübergreifende Abstimmung steht dabei im Mittelpunkt der neuen Arbeitsgemeinschaft "Advanced Materials".

Quelle: Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR)