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20.05.2024

09.02.2018

Selbstorganisierte Strukturen in Flüssigkristallen nachgewiesen

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Flüssigkristalle befinden sich in jedem Handy und Monitor und sorgen für eine farbige Lesbarkeit von Nachrichten und Informationen in Displays. Wissenschaftler der Technische Universität Hamburg (TUHH), des Helmholtz-Zentrums Berlin, der Bundesanstalt für Materialforschung und -Prüfung, des Max-Planck Instituts für Dynamik und Selbstorganisation und der Technischen Universität Czestochowa in Polen haben in einer Studie herausgefunden, dass Flüssigkristalle temperaturgesteuert im engen Raum selbstorgansiert kleine Ringstrukturen bilden - ein Zustand, der in diesem Material sonst nicht vorkommt. Dieses Verhalten ermöglicht nun Nanomaterialien mit neuen optischen und elektrischen Eigenschaften, wie das Team unter der Leitung von Patrick Huber von der TUHH herausgefunden hat. Der Beitrag erschien am 5. Februar 2018 im Fachblatt "Physical Review Letters".

An DESYs Röntgenquelle PETRA III haben Forscher eine verblüffende Form der Selbstorganisation in Flüssigkristallen untersucht: Die Wissenschaftler hatten eine besondere Form von Flüssigkristallen untersucht, die aus scheibenförmigen Molekülen aufgebaut sind, sogenannte diskotische Flüssigkristalle. In diesen Materialien können die Scheiben-Moleküle von selbst hohe, elektrisch leitfähige Säulen bilden, indem sie sich wie Münzen aufeinanderstapeln. Diese Flüssigkristalle füllten die Forscher in Nano-Poren in einem Silikatglas. Die zylindrischen Poren hatten einen Durchmesser von nur 17 Nanometern (millionstel Millimetern) und eine Tiefe von 0,36 Millimetern.

Dort wurden die Flüssigkristalle auf rund 100 Grad Celsius erhitzt und kühlten anschließend langsam ab. Dabei formten sich aus den zunächst ungeordneten Scheiben-Molekülen konzentrische Ringe, die wie rund gebogene Säulen angeordnet waren. Beginnend vom Rand der Pore bildete sich mit sinkender Temperatur schrittweise ein Ring nach dem anderen, bis bei etwa 70 Grad der gesamte Querschnitt der Pore mit konzentrischen Ringen aufgefüllt war. Beim erneuten Erhitzen verschwanden die Ringe nach und nach wieder.

"Diese Änderung der molekularen Struktur in dem eingeschlossenen Flüssigkristall lässt sich mit Methoden der Röntgendiffraktion sehr genau als Funktion der Temperatur verfolgen", erläutert DESY-Forscherin Milena Lippmann aus dem Autorenteam, die die Experimente an DESYs Messstation P08 bei PETRA III vorbereitet und mit durchgeführt hat. "Die Kombination aus Symmetrie und Einschluss führt zu neuen, unerwarteten Phasenübergängen", ergänzt Ko-Autor Marco Mazza vom Göttinger Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation, wo der beobachtete Prozess mit Simulationsrechnungen nachgestellt worden war. MPI-Forscher Arne Zantop hatte zu diesem Zweck ein theoretisches und numerisches Modell für den Flüssigkristall in beschränkter Geometrie entwickelt, welches die experimentellen Ergebnisse bestätigt und bei deren Interpretation hilft.

Die einzelnen Ringe formten sich schrittweise bei bestimmten Temperaturen. "Das ermöglicht es, einzelne Nano-Ringe durch kleine Temperaturänderungen ein- und auszuschalten", betont Hauptautorin Kathrin Sentker von der TUHH. Sie ist durch überraschend stufenartige Signalveränderungen in Laser-optischen Experimenten auf diesen Prozess gestoßen. Derartige quantisierte Zustandsänderungen kommen sonst typischerweise erst bei sehr tiefen Temperaturen vor. Das Flüssigkristall-System zeigt dieses Quanten-Verhalten jedoch sogar schon deutlich oberhalb der Raumtemperatur.

Da sich die opto-elektrischen Eigenschaften diskotischer Flüssigkristalle mit dem Entstehen von Molekül-Säulen ändern, ist die in Nanoporen eingeschlossene Variante ein vielversprechender Kandidat für das Design neuer optischer Metamaterialien, deren Eigenschaften sich schrittweise über die Temperatur steuern lassen. Die untersuchten Nanostrukturen könnten auch zu neuen Anwendungen in organischen Halbleitern führen, z.B. zu temperaturschaltbaren Nanodrähten, meint Andreas Schönhals von der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM), der sich für die thermischen und elektrischen Eigenschaften dieser Systeme interessiert.

"Das beobachtete Phänomen ist ein gutes Beispiel dafür, wie vielseitig sich weiche Materie an extreme räumliche Beschränkungen anpassen kann und wie dies zu neuer Physik und zu neuen Design- und Kontrollprinzipien für die Selbstorganisation funktionaler Nanomaterialien führt", erläutert Forschungsleiter Huber.

An der Studie waren auch das Helmholtz-Zentrum Berlin und die Technische Universität Czestochowa in Polen beteiligt. Sentker und Huber sind Mitglieder des Sonderforschungsbereichs (SFB) 986 "Maßgeschneiderte Multiskalige Materialsysteme - M3", der seit 2012 von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert wird und die materialwissenschaftlichen Kompetenzen im Großraum Hamburg bündelt.

» Originalpublikation

Quelle: Technische Universität Hamburg