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20.05.2024

06.08.2018

Mikroschadstoffe im Wasserkreislauf - Tagungsergebnisse des Kompetenzzentrums NRW

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Das Kompetenzzentrum Mikroschadstoffe.NRW veranstaltete im Juni 2018 seine Fachtagung zum Thema "Arzneimittel und Mikroschadstoffe in Gewässern, Belastungen - Minderungs-strategien - Maßnahmen". 520 Teilnehmern auch aus den Nachbarländern, 18 Aussteller und 15 Fachvorträge sorgten für eine lebhafte Atmosphäre und einen intensiven Fachaustausch zu den Themen Handlungsstrategien, Analytik und Bewertung von Mikroschadstoffen, Vermeidungs-/Minderungsmaßnahmen, technische Möglichkeiten und Finanzierungsoptionen.

Herr Odenkirchen als Vertreter des Umweltministeriums NRW (MULNV) verwies auf die vielen Untersuchungen und Maßnahmen in NRW zur Reduktion des Eintrags von Mikroschadstoffen. Auf 11 Kläranlagen wurde eine vierte Reinigungsstufe implementiert, auf weiteren 19 ist sie in Planung oder Bau. Eine flächendecke vierte Reinigungsstufe werde es in NRW aber nicht geben, stattdessen verfolge man die kooperative Erreichung von Gewässerzielen. Herr Dr. Wagner (BMU) stellte die Bundesstrategie zu Spurenstoffen in Gewässern und den dazu durchgeführten Stakeholder-Dialog mit 25 Interessenverbänden vor. Frau Dr. Schulte-Wülwer-Leidig (IKSR) zeigte, dass Gruppen von Mikroschadstoffen teilweise in Konzentrationen über den jeweiligen Grenzwerten im Rhein detektiert wurden, während für viele der nachgewiesenen Stoffe Beurteilungskriterien fehlen. Die IKSR erarbeite einen Maßnahmenkatalog zur Minderung von Stoffeinträgen. Herr de Rooy vom niederländischen Ministerium für Infrastruktur und Wasserwirtschaft betonte die Prozesskette von der Entwicklung eines Spurenstoffs bis zum Auftreten in Gewässern. Alle dabei involvierten Stakeholder finalisieren aktuell eine Minimierungsstrategie für die Niederlande, die ein Umsetzungsprogramm für 17 pragmatische Maßnahmen vorsieht.

Frau Dr. Murray von der Universität Exeter (GB) führte aus, dass Antibiotikaresistenzen bis 2050 zu einer der weltweit häufigsten Todesursachen werden könnten. Für gesunde Menschen bestünden aktuell aber sehr geringe Risiken. Als ein Ergebnis des EU-Forschungsprojekt SOLUTIONS wurde durch PD Dr. Brack vom UFZ gezeigt, dass 42% der europäischen Einzugsgebiete einer chronischen und 14% einer akuten Toxizität durch Mikroschadstoffe unterliegen, die Biozönosen der Gewässer sich nach Bau einer vierten Reinigungsstufe aber wieder verbessern. Frau Dr. Vietoris vom MULNV NRW gab eine Übersicht zu den zahlreiche Messprogrammen in NRW-Gewässern zur Er-fassung des Ist-Zustandes und der Trends von Mikroschadstoffen. Frau Launay von der Universität Stuttgart verglich den Eintrag von Mikroschadstoffen aus Mischwasserentlastungen (MWE) und Kläranlagen, da sich beide hinsichtlich vieler Stoffe grundlegend unterscheiden.

Herr Dr. Kullik (Verband der chemischen Industrie e.V.) informierte über die Selbstverpflichtung der chemischen Industrie zur Verringerung der Emissionen von Spurenstoffen in die Umwelt als freiwillige Maßnahmen. Herr Reich stellte mit dem "Benign by Design"-Ansatz Möglichkeiten zur Remodellierung bestimmter Substanzen mit dem Ziel vor, dessen Wirkpotenzial zu erhalten, seine biologische Abbaubarkeit aber zu verbessern. Herr Dr. Strassemeyer vom Julius-Kühn-Institut in Kleinmachnow zeigte die Vorteile eines neu entwickelten internet-basierten Beratungswerkzeugs für Landwirte, welches sowohl den Nutzen von Pflanzenschutzmittel (PSM) als auch Gefährdungs-potentiale vermittelt. Herr Prof. Bester von der Aarhus Universität (DK) erläuterte verschiedene Maßnahmen zur Eintragsminderung direkt an der Quelle, die in Dänemark und Schweden insbesondere bei industriellen Einleitern umgesetzt wurden.

Herr Dr. Nafo (EGLV) berichtete über das Projekt "Essen macht's klar: Weniger Medikamente im Abwasser". Es verfolgt die Aufklärung der Bürger und somit eine sensiblere Nutzung und Entsorgung von Medikamenten. Der jeweils erzielte Erfolg einzelner Aktionen zur Aufklärung und wurde dabei sozial-empirisch bewertet. Das Projekt soll über seine Projektlaufzeit hinweg fest in Essen verankert werden und weist ein hohes Potenzial für den Übertrag auf andere Städte oder Regionen auf. Über das Projekt MERK'MAL berichtete Herr Dr. Merkel (IWW) mit einem Konzept für den Rückhalt iodierter Röntgenkontrastmitteln (RKM) an der Quelle. Dazu wurden betroffenen Patienten in Mülheim an der Ruhr jeweils vier Urinbeutel ausgegeben, die nach Nutzung mit dem Haus-müll entsorgt werden sollten. Die hohe Bereitschaft entsprechend versorgter Patienten spiegelt sich in einer Beteiligungsquote von bis zu 87% wieder, was sich einzelne RKM in einer Verminderung der Konzentrationen im Abwasser niederschlug. Beispiele für die erfolgreiche Umsetzung einer er-weiterten Abwasserbehandlung dezentral am Krankenhaus erläuterte Herr Dr. Herbst (SWECO). Die Abwasserreinigungsanlagen bestehen in der Regel aus einem Membranbioreaktor zur biologischen Aufbereitung des Abwassers, gefolgt von Ozonung und/oder Adsorption an Aktivkohle und ggf. einer biologischen Nachbehandlung. Herr Dr. Knerr von der Universität Luxemburg berichtete über das transnationale Projekt EmISûre zum Gewässerschutz mit innovativer Strategie für die Implementierung und den Betrieb weitergehender Reinigungsstufen, deren Wirksamkeit mittels Stoffflussmodell bewertet werden soll.

Ira Brückner vom Wasserverband Eifel-Rur stellte die Realisierung der größten Abwasserozonungsanlage in Deutschland auf der Kläranlage Aachen-Soers vor. Die spezifischen Jahreskosten beliefen sich bei einer behandelten Vollstrom-Abwassermenge von 27 Mio. m³/a auf 0,06 €/m³. Die Begleitforschung zum Projekt befasse sich mit der Optimierung des Ozoneintrags sowie der Unter-suchung von biologischer Nachbehandlung, Transformationsprodukten, antibiotikaresistenter Keimen und der Limnologie des Vorfluters Wurm. Heinz Brandenburg von den Stadtentwässerungsbetrieben Köln stellte die zweite Phase des Projekt "AdOx Köln" zur Umrüstung von BIOFOR®-Bestandsanlagen auf zwei Kläranlagen von Flockungsfiltration auf Spurenstoffelimination vor. Auf Basis bisheriger Erkenntnisse favorisiere man nun ein kombiniertes Vorzugsverfahren aus vorgeschalteter Ozonung und nachgeschalteter Aktivkohlefiltration. Maximiliane Kühl (Stadtentwässerung Stuttgart) skizzierte die Projektphasen zum Ausbau der Kläranlage Stuttgart-Mühlhausen (1,2 Mio. EW) für die Spurenstoffelimination mit einer geplanten Fertigstellung Ende 2027. Als weiteres Ziel verfolge man dabei auch die Unterschreitung des P-Überwachungswertes von 0,3 mg/l, da der Klaranlagenablauf bis zu 40% des Abflusses des Neckars betrage. Geplant sei eine Pulveraktivkohledosierung sowohl in ein Kontaktbecken vor der bestehenden Sandfiltration als auch die Direktdosierung in die Biologie. Herrn Prof. Schäfer vom Erftverband stellte die Spurenstoff-Agenda Erft und deren Nebengewässer dar. Strategie sei eine gezielte Priorisierung umzusetzender Maßnahmen, die mit einem umfangreichen Analytikprogramm über ein Jahr, mit einer Gewässergütemodellierung sowie mit Studien für die Kläranlagen an der Erft begonnen wurde. Das Gewässergütemodell habe dabei gut zeigen können, dass nicht ein flächendeckender, sondern ein Ausbau von Kläranlagen im Oberlauf der Erft sich als sinnvoll erweise und zudem die Teilstrom- der Vollstrombehand-lung aufgrund größerer Effizienz vorzuziehen sei. Er belegte am Beispiel Diclofenac, wie das Modell für den Ausbau aller untersuchten Kläranlagen prognostiziert, dass nicht für alle Stoffe die Bewertungskriterien für Oberflächengewässer erreicht werden können.

Andrea Kaste aus dem Umweltministerium NRW sowie von Dr. Demet Antakyali vom Kompetenzzentrum Mikroschadstoffe.NRW zogen eine Zwischenbilanz der Mikroschadstoffelimination auf kommunalen Kläranlagen in NRW. Vorgestellt wurde darin die besondere Bedeutung des Multibarrierenkonzeptes für NRW. Prof. Schitthelm vom Niersverband stellte Finanzierungsansätze für die Spurenstoffbehandlung aus Sicht eines Abwasserbeseitigungspflichtigen dar und forderte die Ablösung einer Investitionsförderung durch eine auf die behandelte Abwassermenge bezogene spezifische Förderung und die Anwendung des Verursacherprinzips über eine Umweltabgabe. Prof. Erik Gawel von der Universität Leipzig führte zum aus, dass Umweltabgaben einen wichtigen Beitrag im Rahmen einer umfassenden instrumentierten Mikroschadstoffpolitik leisteten. Dabei hätten Abgabenlösungen gegenüber anderen Instrumenten, wie z.B. einer Gebühren- oder Steuerfinanzierung, Vorteile und hätten zudem vielfältige Einsatzmöglichkeiten. Umweltabgaben, die Weiterentwicklung der Abwasserabgabe sowie die Arzneimittel- bzw. Pflanzenschutzmittelabgabe als Verursacherabgabe können sich sinnvoll ergänzen.

Das Schlusswort sprach Dr. Thomas Delschen, Präsident des LANUV NRW. Er begrüßte, dass zur Verminderung des Eintrags von Mikroschadstoffen nun auch Maßnahmen an der Quelle diskutiert werden. Dadurch käme der Kooperation von Stakeholdern große Bedeutung zu, was auch die komplexe Frage der Finanzierung impliziert.

Quelle: IWW Analytik und Service GmbH