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19.07.2018

Was bei plötzlicher Erwärmung in Magneten passiert

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Magnetische Festkörper können sich bei Erhitzung entmagnetisieren. Trotz jahrzehntelanger Forschung war bisher unklar, wie dieser Prozess im Detail abläuft. Nun hat eine internationale Gruppe erstmals Schritt für Schritt beobachtet, wie sich bei plötzlicher Erhitzung die magnetische Ordnung in einem ferrimagnetischen Isolator verändert. Das Ergebnis: Die magnetische Ordnung ändert sich auf zwei Zeitskalen. Der erste Prozess ist überraschend schnell und benötigt nur eine Pikosekunde, während der zweite Prozess 100.000 mal länger dauert. Diese Einsicht könnte dazu beitragen, die Schaltgeschwindigkeit in magnetischen Speichermedien um mindestens den Faktor 1000 zu erhöhen. Die Arbeit ist in Science Advances publiziert.

Magnetische Festkörper haben die Menschheit schon immer fasziniert. Unsere heutige Informationsgesellschaft mit ihrem großen Bedarf an immer schnelleren und größeren Speichermedien wäre ohne magnetische Materialien undenkbar. Ferrimagnete bilden dabei die größte Klasse unter den bekannten magnetischen Materialien. Sie besitzen eine Kristallstruktur, bei der innerhalb bestimmter Bereiche (Weiss-Bezirke) die magnetischen Momente (Spins) der Atome jeweils abwechselnd antiparallel ausgerichtet sind. Dabei heben sie sich jedoch nicht vollständig auf, da die magnetischen Momente in einer Richtung stärker sind. Die Gesamtmagnetisierung ergibt sich aus der Summe aller Spins vom Typ 1 und Typ 2. Aufgrund der entgegengesetzten Richtung ist die Gesamtmagnetisierung M1-M2.

Wird ein nichtleitender Ferrimagnet erwärmt, dann verteilt sich die Wärme zunächst im Atomgitter: Die Atome beginnen, um ihre mittleren Gleichgewichts-Positionen zu vibrieren und können zusätzlich um ihre Drehachse taumeln. Dadurch geht die ursprüngliche magnetische Ordnung allmählich verloren; die Gesamtmagnetisierung (M1-M2) nimmt ab und verschwindet, sobald die sogenannte Curie-Temperatur überschritten ist.

Doch wie diese Prozesse im Detail ablaufen, war ein Rätsel. Selbst für den bereits sehr gut erforschten Ferrimagneten Yttrium-Eisen-Granat war völlig unklar, wie lange es dauert, bis das erhitzte Atomgitter und die Spins miteinander ins Gleichgewicht kommen. Schätzungen reichen von Pikosekunden (10-12s) zu Mikrosekunden (10-6s).

Nun haben Teams aus Berlin, Dresden, Uppsala (Schweden), St. Petersburg (Russland) und Sendai (Japan) diesen Prozess an einer YIG-Probe erstmals Schritt für Schritt beobachten können. "Um das Atomgitter eines YIG-Films augenblicklich punktuell zu erhitzen, haben wir am Fritz-Haber-Institut ultrakurze Laserlicht-Bursts im Terahertz-Bereich genutzt. Gleich danach haben wir mit einem weiteren Laserpuls im sichtbaren Bereich die Probe abgetastet. Damit konnten wir Schritt für Schritt die Entwicklung der Magnetspins nachvollziehen. Im Wesentlichen nehmen wir einen magnetischen Stop-Motion-Film auf", sagt Dr. Sebastian Maehrlein von der Freien Universität Berlin, der die Experimente durchführte.

HZB-Gastwissenschaftler Dr. Ilie Radu vom Max-Born-Institut, der die ursprüngliche Idee für das Experiment hatte, fasst die Ergebnisse zusammen: "Die plötzliche Erwärmung des Atomgitters verändert die magnetische Ordnung des Ferrimagneten auf zwei verschiedene Zeitskalen: Bestimmte Prozesse laufen unglaublich schnell ab, im Bereich von Pikosekunden, während andere Prozesse rund 100.000 mal länger dauern, und eher um die 100 Nanosekunden benötigen."

Wassertopf im Ofen als Bild für die komplexen Prozesse

Um diesen Prozess zu veranschaulichen führen die beiden Physiker einen Topf mit Wasser an, der bei geschlossenem Deckel in einen heißen Ofen gestellt wird. Die heiße Luft im Ofen entspricht dem heißen Atomgitter, während das Wasser im Topf die Spins verkörpert. Wird das Atomgitter erhitzt, dann übertragen die Zufallsschwingungen der Atome die magnetische Ordnung von Spintyp 1 auf Spintyp 2. Daher schrumpfen die beiden magnetischen Momente M1 und M2 um genau den gleichen Betrag (rote Pfeile), so dass sich die Gesamtmagnetisierung M1-M2 nicht verändert. Dieser Prozess entwickelt sich auf der schnellen Zeitskala und wird durch die Austausch-Wechselwirkung vermittelt, die stärkste Kraft im Magnetismus. Die Atomspins werden gezwungen, sich mit konstanter Gesamtmagnetisierung aufzuheizen, genau wie Wasser in einem geschlossenen Topf, der ein festes Volumen besitzt.

Damit sich dann auch die Gesamtmagnetisierung M1-M2 verändert, muss ein Teil des Spins (d.h. Drehimpuls) an das Atomgitter abgegeben werden. Das lässt sich weiter mit dem Topf im Ofen vergleichen: Der Druck im Topf steigt an, bis kleine Leckagen im Deckel entstehen, so dass die Drehimpulse langsam nach außen abgegeben werden. Genau so geschieht dies auch im Ferrimagneten, wo die Kopplungen zwischen Spins und Gitter sehr schwach sind auf der längeren Zeitskala.

Ausblick: Mögliche Anwendung für die Datenspeicherung

"Wir haben jetzt ein klares Bild davon, wie sich das heiße Atomgitter und die kalten magnetischen Spins eines ferrimagnetischen Isolators ausgleichen", betont Radu. Durch die rasche Energieübertragung entsteht ein neuartiger Zustand der Materie, in dem die Spins zwar heiß sind, aber noch nicht ihr gesamtes magnetisches Moment reduziert haben. Dieser "Spinüberdruck" wird durch wesentlich langsamere Prozesse freigesetzt, die die Abgabe des Drehimpulses an das Gitter ermöglichen.

"Unsere Ergebnisse sind auch für Anwendungen in der Datenspeicherung relevant", ergänzt Sebastian Maehrlein. "Wenn wir zwischen 0 und 1 in einem magnetischen Speichermedium umschalten wollen, müssen sowohl Drehimpuls als auch Energie zwischen Atomgitter und Spins übertragen werden." Und Radu ergänzt: " Mit diesen neuen Einsichten könnte es möglich werden, magnetische Schaltprozesse im Terahertzbereich zu realisieren. Das wäre tausendmal schneller als die Taktraten in Computern heute."

» Originalpublikation

Quelle: Helmholtz-Zentrum Berlin (HZB)