Analytik NEWS
Das Online-Labormagazin
20.05.2024

13.06.2017

Röntgenanalyse zeigt unerwartetes Verhalten von Siliziumdioxid-Mineralen

Teilen:


Mit Hochdruck-Experimenten an DESYs Röntgenlichtquelle PETRA III und anderen Anlagen haben Bayreuther Forscher die langgesuchte Erklärung für scheinbar widersprüchliche Eigenschaften von Mars- und Mond-Meteoriten geliefert. Die Untersuchung des Teams um Leonid Dubrovinsky von der Universität Bayreuth enträtselt, wieso verschiedene Formen von Siliziumdioxid nebeneinander in Meteoriten existieren können, obwohl sie unter sehr unterschiedlichen Bedingungen entstehen. Die im Fachblatt "Nature Communications" veröffentlichten Ergebnisse haben direkte Auswirkung auf die Analyse von Meteoriten.

Die Wissenschaftler hatten ein Siliziumdioxid-Mineral namens Cristobalit untersucht. "Dieses Mineral ist von großem Interesse für die Analyse planetarer Proben wie Meteoriten, weil es die vorherrschende Form von Siliziumdioxid in extraterrestrischem Material darstellt", erläutert Erstautorin Ana Cernok vom Bayerischen Geoinstitut (BGI) an der Universität Bayreuth, die inzwischen an der Open University in Großbritannien arbeitet. "Cristobalit hat dieselbe chemische Zusammensetzung wie Quarz, aber seine innere Struktur unterscheidet sich deutlich", ergänzt Ko-Autor Razvan Caracas vom französischen Forschungszentrum CNRS.

Anders als der allgegenwärtige Quarz ist Cristobalit auf der Erde relativ selten, da es sich erst unter sehr hohen Temperaturen und besonderen Bedingungen bildet. Es findet sich jedoch häufig in Meteoriten, die durch Asteroidentreffer aus Mond oder Mars herausgeschlagen wurden und schließlich auf der Erde gelandet sind.

Überraschenderweise haben Forscher jedoch in solchen Mond- und Marsmeteoriten neben Cristobalit auch das Mineral Seifertit gefunden. Es ist ebenfalls eine Form von Siliziumdioxid, entsteht aber erst unter extrem hohen Druck. Dubrovinsky und seine Kollegen haben Seifertit vor 20 Jahren erstmals künstlich hergestellt. "Cristobalit und Seifertit in denselben Körnern eines Meteoriten zu finden, ist rätselhaft, denn sie entstehen unter völlig anderen Drücken und Temperaturen", betont Dubrovinsky. "Angestoßen durch diese merkwürdige Beobachtung haben zahllose experimentelle und theoretische Studien das Verhalten von Cristobalit unter Hochdruck untersucht, aber das Rätsel ließ sich über zwei Jahrzehnte nicht lösen."

Mit dem intensiven Röntgenlicht von PETRA III bei DESY und der European Synchrotron Radiation Facility (ESRF) im französischen Grenoble konnten die Wissenschaftler nun unerreichte Einblicke in die innere Struktur von Cristobalit unter Hochdruck von bis zu 83 Gigapascal gewinnen, das entspricht rund dem 820.000-fachen Atmosphärendruck. "Die Experimente zeigen, wie Cristobalit in eine als Cristobalit X-I bezeichnete Hochdruckphase übergeht, wenn es gleichmäßig zusammengepresst wird - oder wie wir sagen, unter hydrostatischem oder quasi-hydrostatischem Gleichgewicht", erläutert Ko-Autorin Elena Bykova, die an der DESY-Messstation P02.2 arbeitet, an der die Versuche stattfanden. "Wenn der Druck verschwindet, wandelt sich Cristobalit X-I dann wieder zurück in normales Cristobalit."

Wird Cristobalit jedoch ungleichmäßig zusammengepresst, unter sogenannten nicht-hydrostatischen Bedingungen, bildet sich unerwarteter Weise eine Seifertit-ähnliche Struktur. Diese Struktur entsteht bereits bei deutlich geringerem Druck als nötig ist, um Seifertit aus gewöhnlichem Siliziumdioxid zu bilden. "Theoretische Berechnungen bestätigen die dynamische Stabilität der neuen Phase auch bei hohen Drücken", erläutert Caracas.

Zudem bleibt diese Phase auch ohne Druck stabil. "Das war eine Überraschung", sagt Cernok. "Unsere Studie erklärt damit, wie Seifertit bereits bei deutlich geringerem Druck entstehen kann als erwartet, wenn man Cristobalit komprimiert. Daher haben Meteoriten, die Seifertit und Cristobalit enthalten, nicht notwendigerweise sehr heftige Einschläge erlebt."

Das unerwartete Verhalten erklärt, wieso Cristobalit und Seifertit nebeneinander in einem Meteoriten existieren können. Denn bei einem Einschlag kann die Schockwelle auf ihrem Weg durch das Material verschiedene, sich überschneidende hydrostatische und nicht-hydrostatische Druckzonen erzeugen, so dass verschiedene Varianten von Siliziumdioxid in demselben Meteoriten entstehen können.

"Diese Ergebnisse haben unmittelbare Auswirkung auf die Untersuchung von Einschlagprozessen im Sonnensystem", erläutert Dubrovinsky. "Sie liefern einen klaren Beleg dafür, dass weder Cristobalit noch Seifertit als verlässliche Indizien für die Stärke eines Schocks gelten können, die ein Meteorit erfahren hat." Allgemeiner gefasst zeigen die Beobachtungen auch, dass dasselbe Material ganz anders auf hydrostatische und nicht-hydrostatische Kompression reagieren kann. "Unsere Resultate legen einen zusätzlichen Mechanismus nahe, über den Materialwissenschaftler die Eigenschaften von Materialien verändern können. Neben Druck und Temperatur können auch unterschiedliche Formen mechanischer Spannung zu völlig anderem Verhalten von Festkörpern führen."

» Originalpublikation

Quelle: Deutsches Elektronen-Synchrotron (DESY)