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20.05.2024

23.02.2017

Entwicklung von Blutstammzellen voraussagen

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Wissenschaftler am Helmholtz Zentrum München und ihre Partner an der ETH Zürich sowie der Technischen Universität München haben die Methode des Deep Learning eingesetzt, um die Entwicklung von Blutstammzellen im Voraus zu berechnen. Sie beschreiben, wie ihre Software anhand von Mikroskopie-Bildern den künftigen Zelltyp vorhersagt.

Die Zellbiologie befasst sich heutzutage nicht mehr nur mit statischen Zuständen, sondern versucht auch dynamische Entwicklungen von Zellgruppen zu verstehen. Ein Beispiel dafür ist die Bildung verschiedener Typen von Blutzellen aus ihren Vorläufern, den Blutstammzellen. "Die Entscheidung einer Blutstammzelle für einen Zelltyp lässt sich nicht beobachten. Man kann sie bisher nur nachträglich durch Zelloberflächenmarker nachweisen", erklärt Dr. Carsten Marr, Leiter der Arbeitsgruppe Quantitative Single Cell Dynamics am Institute of Computational Biology (ICB) des Helmholtz Zentrums München.

Er und sein Team haben nun einen Algorithmus entwickelt, der die Entscheidung bereits im Vorfeld voraussagen kann. Dazu wendeten sie das sogenannte Deep Learning an. "Bei unserer Methode spielen Deep Neural Networks, also künstliche Intelligenz, eine tragende Rolle", so Marr. "Unser Algorithmus wertet lichtmikroskopische Bilder und Videos einzelner Zellen aus und gleicht diese Daten mit bisherigen Erfahrungen zur Entwicklung derartiger Zellen ab. Der Algorithmus 'lernt' auf diese Weise wie sich bestimmte Zellen verhalten."

Drei Generationen schneller als bisherige Methoden

Konkret untersuchten die Forscher Blutstammzellen, die im Labor von Timm Schroeder an der ETH Zürich unter dem Mikroskop gefilmt worden waren. Anhand der Informationen über Aussehen und Geschwindigkeit konnte die Software sich die entsprechenden Verhaltensmuster einprägen und anschließend voraussagen. "Verglichen mit herkömmlichen Methoden, etwa fluoreszierenden Antikörpern gegen bestimmte Oberflächenproteine, wissen wir drei Zellgenerationen früher, wie sich die Zellen entscheiden werden", berichtet ICB-Wissenschaftler Dr. Felix Buggenthin, gemeinsam mit Dr. Florian Büttner Erstautor der Studie.

Doch was bringt den Forscher dieser Blick in die Zukunft? Studienleiter Marr beschreibt es so: "Weil wir nun wissen, welche Zelle sich wie entwickelt, können wir diese früher als bisher isolieren und untersuchen wie sie sich molekular unterscheiden. Dadurch wollen wir aufklären, wie es zur jeweiligen Entscheidung für eine Entwicklungslinie kommt."
In Zukunft wird es nicht bei den Blutstammzellen bleiben. "Wir verwenden Deep Learning für ganz unterschiedliche Fragestellungen mit ausreichend großen Datensätzen", erklärt Prof. Dr. Dr. Fabian Theis, ICB-Direktor und Inhaber des Lehrstuhls für Mathematische Modelle biologischer Systeme an der TU München, der zusammen mit Carsten Marr die Studie leitete. "So analysieren wir mit ganz ähnlichen Algorithmen krankheitsassoziierte Muster im Genom und identifizieren Biomarker in klinischen Zell-Screens."

Weitere Informationen

Die hier beschrieben Studie ist das aktuellste Ergebnis einer engen Kooperation der ICB-Wissenschaftler mit der Gruppe von Prof. Dr. Timm Schroeder vom Departement für Biosysteme der ETH Zürich mit Sitz in Basel, der zuvor am Helmholtz Zentrum in München arbeitete. Im Juli 2016 stellten die Wissenschaftler in 'Nature Biotechnology' gemeinsam eine Software vor, die es erlaubt, einzelne Zellen über Wochen zu beobachten und gleichzeitig deren molekulare Eigenschaften zu messen. Nahezu zeitgleich publizierten sie eine Studie im Fachmagazin 'Nature', die sich bereits mit der Entwicklung von Blutstammzellen beschäftigte. Mittels Zeitraffer-Mikroskopie konnten die Forscher lebende Blutstammzellen mit bisher nicht gekannter Präzision bei der Ausreifung beobachten und dabei bestimmte Proteine quantifizieren.

Hintergrund

Algorithmen des Deep Learning simulieren Lernprozesse, wie sie beim Menschen vorkommen (neuronale Netze) - in etwa so wie ein Kind lernt, Gesichter zu erkennen oder Tiere zu unterscheiden. Das Prinzip funktioniert besonders gut, wenn große Datenmengen (Big Data) zum Training verfügbar sind. Eine der Stärken von Deep Learning ist die Bilderkennung. Zwischen der Eingabe (also hier den Bilddaten der Zellen) und der Ausgabe (hier die Vorhersage der Zellentwicklung) sind hier mehr Entscheidungsebenen (layers) zwischengeschaltet als sonst bei neuronalen Netzen üblich, daher der Begriff der Tiefe.

» Originalpublikation

Quelle: Helmholtz-Zentrum München (HZM)