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20.05.2024

16.01.2015

Spektroskopische Gasphasen-Untersuchungen von Biomolekülen kritisch hinterfragen

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Massenspektrometrie von Biomolekülen, etwa von Proteinen oder DNA, gewinnt in Molekular-, Zell- und Systembiologie zunehmend an Bedeutung. Anders als bislang angenommen lassen sich jedoch Ergebnisse solcher Gasphasen-Untersuchungen nicht immer eins zu eins auf Moleküle in wässrigen Lösungen übertragen. Das berichtet eine internationale Forschergruppe mit Jülicher. Für die Erforschung von Biomolekülen ist das eine wichtige Erkenntnis, da diese Teilchen in Lebewesen unter wässrigen Bedingungen existieren.

Die Struktur von Biomolekülen ist entscheidend für deren Funktion. Darum analysieren Forscher den Aufbau von Molekülen. Ein etabliertes Verfahren, um etwa die Masse von Atomen oder Molekülen zu bestimmen, ist die Massenspektrometrie. Dabei werden Moleküle aus wässriger Lösung in die Gasphase überführt. "Durch die Fähigkeit, Tausende von Biomolekülen sowie deren Wechselwirkungen bestimmen zu können, hat sich dieses Verfahren insbesondere in der Biomedizin und Wirkstoffforschung zu einem unverzichtbarem Instrument entwickelt", sagt einer der beteiligten Wissenschaftler, Prof. Paolo Carloni, Leiter des Bereichs "Computational Biomedicine" am Forschungszentrum Jülich und des Bereichs "Computational Biophysics" an der German Research School for Simulation Sciences (GRS), einer Gemeinschaftseinrichtung des Forschungszentrum Jülich und der RWTH Aachen.

Bislang ist die Forschung davon ausgegangen, dass sich Messergebnisse aus der Gasphase sehr gut auf wässrige Lösungen übertragen lassen - zumindest hatten das alle bisherigen Untersuchungen ergeben. Mit Experimenten und Simulationen konnten die Wissenschaftler nun aber nachweisen, dass sogenannte Oligonukleotide - Bausteine der DNA - ihre Struktur in der Gasphase deutlich stärker verändern als erwartet: In der Gasphase wechselten Wasserstoffatome den Platz. "Das bedeutet, dass ganz andere Molekülstrukturen entstehen als unter flüssigen Bedingungen", erläutert der Jülicher Wissenschaftler Dr. Jens Dreyer, der an der Studie mitgewirkt hat. Dadurch sind die Ergebnisse für diese Moleküle nicht unmittelbar auf die Struktur in Flüssigkeiten übertragbar. Also auf die Bedingungen, wie sie in realen lebenden Systemen herrschen. Aus Sicht der Forscher könnte das auch bei anderen Molekülen passieren. "Aufgrund unserer Erkenntnisse empfiehlt es sich, Resultate von Gasphasen-Untersuchungen kritisch zu betrachten und ähnliche Veränderungen wie bei Oligonukleotiden nicht von vorneherein auszuschließen", so Paolo Carloni.

Die Veränderungen konnten die Forscher nur beobachten, weil sie eine ganz bestimmte Methode anwandten: die sogenannte ab initio-Molekulardynamiksimulation. Dahinter verbirgt sich eine Computersimulation, die auf einem quantenmechanischen Ansatz beruht. Mit solchen quantenmechanischen Simulationen an biologischen Systemen arbeitet die Arbeitsgruppe von Prof. Carloni bereits seit Langem. Quantenmechanische Berechnungen sind genauer als andere Simulationsmethoden, aber auch äußerst komplex und aufwändig. Für große Biomoleküle sind nur Supercomputer in der Lage, sie durchzuführen. Die Jülicher Wissenschaftler haben den Vorteil, dass sie auf Deutschlands schnellsten Superrechner zurückgreifen können: Jülichs JUQUEEN.

Auf die Idee, ab initio-Molekulardynamiksimulationen mit Oligonukleotiden durchzuführen, kamen die Jülicher Forscher durch die Arbeiten der Partner vom Institute for Research in Biomedicine (IRB Barcelona) und der Universität Lüttich. Diese hatten festgestellt, dass die Ergebnisse von Massenspektrometrie-Experimenten und klassischen Computersimulationen für diese Moleküle nicht übereinstimmten. Die Forscher konnten das zunächst nicht erklären. Mit klassischen Computersimulation können zwar Aussagen über Strukturveränderungen getroffen werden, etwa bei Wasserstoffbrücken, nicht aber über das komplette Brechen von Bindungen. Solche chemischen Reaktionen sind in den Modellen einfach nicht definiert. Erst durch die ab initio-Molekulardynamiksimulation auf JUQUEEN konnte das Rätsel gelöst werden.

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Quelle: Forschungszentrum Jülich