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03.05.2024

25.01.2024

Desinfektion mit Nebenwirkungen - unerwünschte Desinfektionsnebenprodukte in Trinkwasser

Dr. Carmen Breitling-Utzmann, Luzia Buchstab, Chemisches und Veterinäruntersuchungsamt (CVUA) Stuttgart

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Eine Desinfektion von Trinkwasser ist sehr wichtig, um eine mikrobielle Belastung zu vermeiden. Allerdings können beim Einsatz von chlor- oder ozonhaltigen Desinfektionsmitteln unerwünschte, gesundheitlich bedenkliche Desinfektionsnebenprodukte (DNP) entstehen. Zwischen 2016 und 2022 wurden am CVUA Stuttgart mehr als 1.000 Trinkwasser-Proben hinsichtlich der DNP Trihalogenmethane, Chlorat und Bromat untersucht. Erfreulicherweise ist Trinkwasser in der Regel nur sehr wenig mit diesen unerwünschten Nebenprodukten belastet.

Damit mikrobiologisch einwandfreies Trinkwasser bei den Verbrauchern aus dem Wasserhahn kommt, ist oftmals eine Desinfektion des aus Brunnen, Quellen oder Oberflächengewässern gewonnenen Rohwassers unabdingbar. Da Trinkwasser zudem über teils viele Kilometer lange Leitungen und mehrere Hochbehälter transportiert wird, muss häufig eine sogenannte "Transportchlorung" eingesetzt werden, um eine Wiederverkeimung zu verhindern.

Zur Desinfektion von Rohwasser werden neben physikalischen Verfahren wie der Bestrahlung mit UV-Licht oder der Membranfiltration häufig stark oxidierende Chemikalien wie Chlor, Chlordioxid, Hypochloritlösungen oder Ozon eingesetzt. Diese können mit natürlichen Wasserinhaltsstoffen und organischen Verunreinigungen zu potenziell gesundheitsgefährdenden Desinfektionsnebenprodukten (DNP), wie z. B. Trihalogenmethanen (THM), Chlorat, Bromat und Halogenessigsäuren, reagieren. Die Art und Menge der entstehenden DNP ist vor allem von den Vorläufersubstanzen im Rohwasser und der Art des angewendeten Desinfektionsverfahrens abhängig. Während Bromat vermehrt bei der Behandlung von natürlicherweise bromidhaltigem Wasser mit Ozon gebildet wird, entstehen THMs, Chlorat und Halogenessigsäuren vorwiegend bei der Desinfektion mit chlorhaltigen Desinfektionsmitteln.[1]

Die genannten DNPs sind toxikologisch nicht unbedenklich, mehr Informationen hierzu sind am Ende des Beitrags zu finden. Deshalb werden im Wasserlabor des CVUA Stuttgart regelmäßig Trinkwasserproben hinsichtlich dieser Substanzen untersucht. Die in der Trinkwasserverordnung festgelegten Grenzwerte für DNPs sind in Tabelle 1 aufgeführt.

Grenzwerte für DNP nach TrinkwV
Tab.1: Grenzwerte für Trihalogenmethane, Chlorat, Bromat und Halogenessigsäuren nach TrinkwV [2]

Untersuchungsergebnisse des CVUA Stuttgart aus den Jahren 2016 bis 2022
Trihalogenmethane

Zu diesen schon sehr lange bekannten DNPs zählen das umgangssprachlich "Chloroform" genannte Trichlormethan, sowie Bromdichlormethan, Dibromchlormethan und Tribrommethan (Bromoform). Erfreulicherweise wurde in keiner der 931 in den Jahren 2016 bis 2022 am CVUA Stuttgart untersuchten Trinkwasser-Proben der Summen-Grenzwert nach Trinkwasser-Verordnung von 50 µg/L (0,050 mg/L) für THM überschritten. Der Gehalt an diesen unerwünschten Stoffen war zudem in allen untersuchten Proben sehr gering. Zwar konnten in 444 von 93 Proben (48 %) Spuren an THMs nachgewiesen werden, jedoch lag nur in 4 Proben (0,4 %) der Gehalt über 10 µg/L, mit einem "Spitzenreiter" bei 16,5 µg/L.

Chlorat, Bromat

Bromat-Gehalte in Trinkwasserproben
Abb.1: Bromat-Gehalte in 1.019 Trinkwasserproben
aus den Jahren 2016 bis 2022[3]
Von 2016 bis 2022 wurden am CVUA Stuttgart 1019 Trinkwasserproben aus Baden-Württemberg hinsichtlich ihres Bromat-Gehaltes untersucht. Überwiegend konnte in den untersuchten Trinkwasserproben kein Bromat bestimmt werden. In lediglich 2 (0,2 %) Proben wurde der Grenzwert von 10 µg/L überschritten (Abbildung 1).[3]

Laut der toxikologischen Bewertung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sollte der Grenzwert für Bromat jedoch maximal bei 2 bis 6 µg/L liegen.[4] In nur 8,6 % der am CVUA Stuttgart untersuchten Trinkwasserproben konnte ein Bromat-Gehalt über 2 µg/L und in 0,4 % über 6 µg/L bestimmt werden. Dies zeigt, dass auch niedrigere Grenzwerte als der bislang in der Trinkwasser-Verordnung festgelegte Wert von 10 µg/L eingehalten werden können.[3]

Chlorat-Gehalte in Trinkwasserproben
Abb.2: Chlorat-Gehalte in 1.006 Trinkwasserproben
aus den Jahren 2016 bis 20223
Hinsichtlich Chlorats wurden von 2016 bis 2022 insgesamt 1.006 Trinkwasserproben aus Baden-Württemberg untersucht. In 651 Proben konnte kein Chlorat bestimmt werden. Der mit der Novellierung 2023 erstmals in der Trinkwasser-Verordnung verankerte Grenzwert von 70 µg/L für eine dauerhafte Dosierung von chlorhaltigen Desinfektionsmitteln wurde von 36 (3,6 %) der untersuchten Trinkwasserproben überschritten (Abbildung 2). Wenn die mikrobiologische Qualität des Trinkwassers nicht anders gewährleistet werden kann, ist eine zeitweise Dosierung mit einem Grenzwert von 200 µg/L und für kurzfristige Notfälle ein Grenzwert von 700 µg/L Chlorat zulässig. Letzterer wurde nur von 4 (0,4 %) der untersuchten Proben überschritten. Diese Proben stammten alle aus Eigenwasserversorgungsanlagen (Wasserabgabe von max. 10 m3 pro Tag).

Eigenwasserversorgungsanlagen sind deshalb häufiger hinsichtlich erhöhter Chlorat-Gehalte auffällig, da hier oftmals das Wasser mit Hypochlorit-Lösungen, sogenannten "Chlorbleichlaugen", desinfiziert wird. Diese hochkonzentrierten Desinfektionsmittel können zum einen überdosiert werden und reichern zum anderen bei falscher und zu langer Lagerung Chlorat schon im Produkt an.

Insgesamt zeigen die bislang am CVUA Stuttgart gemessenen Chlorat-Gehalte in Trinkwasser, dass auch bei dauerhafter Dosierung sehr niedrige Chlorat-Gehalte eingehalten werden können. Somit könnten die bisherigen Grenzwerte weiter abgesenkt werden, was aus Sicht des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) aufgrund der toxikologischen Bewertung empfohlen wird.[3,7]

Halogenessigsäuren

Die Analyse von Halogenessigsäuren im Spurenbereich wird durch die stark hydrophoben und sauren Eigenschaften der Analyten erschwert. Durch das vom Ministerium für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz Baden-Württemberg (MLR) geförderte Projekt "HALO" konnte eine LC-MS/MS-Methode für die Bestimmung von Halogenessigsäuren am CVUA Stuttgart erfolgreich implementiert und validiert werden. 2024 sollen Trinkwasser-Proben aus Baden-Württemberg zielgerichtet auch auf ihren Gehalt an Halogenessigsäuren untersucht werden. Ziel ist es, einen Überblick über die in verschiedenen Versorgungsgebieten enthaltenen Mengen an Halogenessigsäuren zu bekommen und Zusammenhänge mit den verwendeten Desinfektionsverfahren zu erkennen.

Fazit

Zwischen 2016 und 2022 wurden am CVUA Stuttgart 931 Trinkwasserproben hinsichtlich ihres Gehaltes an Trihalogenmethanen, 1.019 Trinkwasserproben hinsichtlich ihres Bromat-Gehaltes und 1.006 Trinkwasserproben hinsichtlich ihres Chlorat-Gehaltes untersucht. Der Gehalt an Trihalogenmethanen war in allen untersuchten Proben unauffällig. In lediglich 0,2 % der untersuchten Proben wurde der Grenzwert für Bromat von 10 µg/L und in 3,6 % der Grenzwert für Chlorat von 70 µg/L überschritten. Die Bromat- und Chlorat-Gehalte lagen in der überwiegenden Mehrzahl der Trinkwasserproben sogar unterhalb der Bestimmungsgrenze. Dennoch gibt es Ausnahmen mit deutlich erhöhten Mengen an Chlorat oder Bromat, die eine Gefährdung der menschlichen Gesundheit besorgen lassen. Daher ist eine regelmäßige, risikoorientierte Untersuchung von Trinkwasserproben hinsichtlich deren Bromat- und Chlorat-Gehalte wichtig, um bei zu hohen Gehalten Maßnahmen zur Reduzierung einleiten zu können.

Verbrauchertipp

Eine physikalische oder chemische Desinfektion ist meistens unabdingbar, um mikrobiologisch einwandfreies Trinkwasser zu erhalten. Trinkwasser, das von großen Wasserversorgern und Wasserzweckverbänden für den Verbraucher bereitgestellt wird ("Leitungswasser"), wird engmaschig überwacht und enthält - wenn überhaupt - i. d. R. nur sehr geringe Gehalte an unerwünschten Desinfektionsnebenprodukten.

Verbraucher, die ihr Trinkwasser über einen eigenen Brunnen beziehen (Eigenwasserversorger) und das Rohwasser selbst desinfizieren, sollten beim Einsatz von Hypochloritlösungen (Chlorbleichlauge) nicht nach dem Motto "viel hilft viel" vorgehen, sondern sich streng an die Anwendungshinweise und Lagerbedingungen der Produkte halten.

DNPs toxikologisch betrachtet: Warum sind Desinfektionsnebenprodukte in Trinkwasser toxikologisch bedenklich?

Trihalogenmethane gelten als "möglicherweise krebserregend für den Menschen" (IARC Kategorie 2B) und werden u. a. mit Blasenkrebs in Verbindung gebracht.[5]

Chlorat kann bei erhöhten Expositionen zur Hemmung der Jodaufnahme beim Menschen führen und in Folge dessen schädliche Auswirkungen auf die Schilddrüse haben. Bei einer akuten Exposition können die roten Blutkörperchen geschädigt werden und es kann zu Nierenversagen kommen.[6]

Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) hat für Chlorat eine tolerierbare tägliche Aufnahmemenge (TDI) von 3 µg/kg Körpergewicht pro Tag festgelegt. Dieser TDI wird von Kleinkindern (10 kg, täglicher Trinkwasserkonsum 1 L) bei einem Chlorat-Gehalt von 30 µg/L und bei Erwachsenen (60 kg, täglicher Trinkwasserkonsum 2 L) bei einem Chlorat-Gehalt von 90 µg/L überschritten. Aus Sicht des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) sollte aufgrund der toxikologischen Bewertung die Chlorat-Konzentration im Trinkwasser langfristig kleiner als 70 µg/L sein.[7]

Bromat gilt als möglicherweise krebserregend. Bei Labortieren hat eine langfristige Exposition von Bromat zu Nieren- und Schilddrüsentumoren geführt.[8]

Halogenessigsäuren können verschiedene Effekte auf die menschliche Gesundheit ausüben. Di- und Trichloressigsäure können bei Menschen in hohen Konzentrationen zu Haut- und Augenirritationen führen. Außerdem führte eine langfristige Exposition bei Mäusen zu Lebertumoren.[9] 2014 wurden die Di- und Trichloressigsäure von der internationalen Agentur für Krebsforschung (IARC) in Kategorie 2B (möglicherweise krebserregend für den Menschen) eingestuft. Dibrom- und Bromchloressigsäure wurden bereits 2013 als möglicherweise krebserregend eingeordnet. Auch bei diesen beiden Halogenessigsäuren konnte in Tierversuchen bei langfristigen Expositionen die Bildung von Lebertumoren beobachtet werden.[9,10]

Weitere Informationen

  • Die in diesem Bericht vorgestellten Ergebnisse zu Chlorat und Bromat in Trinkwasser aus Baden-Württemberg wurden auch in folgendem Poster am Langenauer Wasserforum 2023 präsentiert.
  • Am CVUA Stuttgart wurde 2023 eine LC-MS/MS Methode zur Bestimmung von Halogenessigsäuren in Trinkwasser optimiert, validiert und implementiert. Die Ergebnisse wurden in folgendem Poster am Langenauer Wasserforum 2023 vorgestellt.

Quellen

  1. Frimmel F., Schmalz C., Zwiener C.: Nebenprodukte aus der Desinfektion (Oxidation) von Trinkwasser. TWA, 2. Erg.-Lfg., 7/2015.
  2. TrinkwV: Verordnung über die Qualität von Wasser für den menschlichen Gebrauch (Trinkwasserverordnung) in der Fassung der Bekanntmachung vom 23. Juni 2023 (BGBl. 2023 I Nr. 159)
  3. C. Breitling-Utzmann, L. Buchstab: Bromat und Chlorat als Desinfektionsnebenprodukte. Deutsche Lebensmittel-Rundschau (DLR), 6/2023, S. 270-276.
  4. World Health Organization (WHO) 2005: Bromate in drinking water. Background document for the development of WHO guidelines for drinking water quality. WHO/SDE/WSH/05.08/78. [abgerufen am 01.03.2023]
  5. DeMarini DM, Lynge E: Chloroform. IARC Monograph 73. 1999
  6. EFSA CONTAM Panel (EFSA Panel on Contaminants in the Food Chain) (2015): Scientific Opinion on risks for public health related to the presence of chlorate in food. EFSA Journal 2015, 13(6):4135, 103 pp.
  7. Aktualisierte Stellungnahme des Bundesinstitutes für Risikobewertung Nr. 007/2018 vom 15. Februar 2018. Der Eintrag von Chlorat in die Nahrungskette sollte reduziert werden.
  8. Kämpfe A., El-Athman F., Mahringer D., Röhl C., Chorus I.: Bromat im Trinkwasser - Herkunft, Vorkommen und gesundheitliche Bewertung. TWA, 11. Erg.-Lfg., 6/2021.
  9. National Toxicology Programm, Department of Health and Human Services: Haloacetic Acids Found as Water Disinfection By-products (Selected). 15th Report on Carcinogens. 12/2021
  10. World Health Organisation (WHO): Trichloroacetic Acid in Drinking-water. Background document for development of WHO Guidelines for Drinking-water Quality. 2004
Artikel erstmals erschienen am 13.11.2023


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