Analytik NEWS
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28.04.2024

26.03.2020

Stromfresser Internet - die unterschätzte CO2-Quelle

Dr. Torsten Beyer , Dr. Beyer Internet-Beratung

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Das Wort Klimahysterie wurde zum Unwort des Jahres 2019 gewählt. Hysterie hilft aber wenig beim Lösen von Problemen, da Argumente dann kaum noch Gehör finden. Deshalb sollen hier die Fakten beleuchtet werden.

Laut einer Studie von "The Shift Project" aus dem Jahr 2018 entsteht der Energieverbrauch von IT-Technologien zu 55 Prozent durch die Nutzung von Internet-Diensten und zu 45 Prozent durch die Produktion der dafür nötigen Geräte sowie den Betrieb und Ausbau der technischen Infrastruktur. Die gleiche Studie kommt zum Ergebnis, dass die globalen CO2-Emissionen des Internets jährlich um neun Prozent steigen. Sie liegen aktuell bei vier Prozent der Gesamtemissionen an CO2 und damit bereits höher als die des gesamten weltweiten Flugverkehrs. Bereits in fünf Jahren werden sie sieben Prozent betragen und damit alle CO2-Emissionen des weltweiten Straßenverkehrs übersteigen.

Aktuell sind knapp 60 Prozent der Weltbevölkerung online, die Zahl wird in den nächsten Jahren allerdings weiter stark anwachsen. Dadurch werden immer mehr Daten übertragen, mehr internetfähige Geräte benötigt und die Infrastruktur immer weiter ausgebaut werden müssen. Nur so lassen sich auch in Zukunft die Bedürfnisse von Nutzern und Unternehmen befriedigen. Dazu kommen neue Technologien wie das Internet der Dinge, 5G-Netz, autonomes Fahren oder Bitcoin-Anwendungen, die die zu übertragenden Datenmengen weiter explodieren lassen.

Betrachten man die unterschiedlichen Quellen, so ergeben sich diverse Möglichkeiten, wie das Internet zukünftig stromsparender und mit weniger CO2-Emissionen betrieben werden kann.

Internet in der Wegwerfkultur

Einen ersten Ansatzpunkt für einen nachhaltigeren Umgang mit Energie und Ressourcen hat heute fast jeder in der Hosentasche: Das Smartphone. In einem Smartphone sind rund 80 Prozent aller Elemente des Periodensystems in teils sehr kleinen Mengen verbaut. Das Recycling ist bisher nur sehr aufwändig oder gar nicht sinnvoll möglich. Hinzu kommt, dass die Akkus heute meist fest verbaut sind, was die Wegwerfkultur noch weiter befördert und die Nutzungsdauer unnötig reduziert. Muss es alle zwei Jahre ein neues Smartphone sein? Ist es nicht sinnvoller, defekte Geräte zu reparieren und sie so länger zu nutzen? Hier kann jeder einzelne und jedes Unternehmen ansetzen, um den Ressourcenverbrauch zu reduzieren. Nachhaltige Smartphones bieten übrigens die Firmen Shift und Fairphone an.

Wer ein neues Gerät anschafft, sollte immer die Leistungsaufnahme während des Betriebs und im Stand-by-Modus beachten, insbesondere bei Routern, Switches, Servern und IP-Telefonen, die ununterbrochen eingeschaltet sind. Alle anderen Geräte sollten im ausgeschalteten Zustand möglichst vom Stromnetz getrennt oder mit abschaltbaren Steckdosen ausgestattet werden. Satelliten-Fernsehen und DAB+-Radio sind in der Klimabilanz deutlich besser als Internet-TV und -Radio. CDs, DVDs und Blurays verursachen trotz des Ressourcenverbrauchs bei der Produktion deutlich weniger Emissionen als Streaming-Dienste. Allerdings wird sich das Rad hier nicht mehr zurückdrehen lassen und die Bequemlichkeit wohl wie so oft siegen.

Netzinfrastruktur - Deutschland liegt zurück

Bei der Infrastruktur gibt es insbesondere in Deutschland zwei drängende Probleme: Der teilweise unzureichende Mobilfunkausbau führt zu einem höheren Stromverbrauch, der Akku ist schneller leer. Die fast überall verlegten Kupferleitungen sind sehr ineffizient. Forscher des Fraunhofer-Instituts für Mikroelektronik und Zuverlässigkeit in Berlin haben errechnet, dass bei Kupferleitungen die Hälfte der zum Datentransport benötigten Energie als Abwärme verloren geht. Bei Glasfaserleitungen besteht dieses Problem nicht. Allerdings lag Deutschland im Jahr 2018 nach Zahlen von Statista mit einem Glasfaseranteil von lediglich 3,2 Prozent fast am Ende aller OECD-Staaten. Südkorea ist hier Spitzenreiter mit einem Anteil von 80,4, gefolgt von Japan mit 78,3 und Litauen mit 73,6 Prozent. Hier besteht enormer Handlungsbedarf seitens der Politik und der Netzbetreiber und auch ein enormes Einsparpotential beim Energieverbrauch.

Die vielen Tausend Rechenzentren weltweit, auf denen die Daten von Clouds und Webseiten gespeichert sind, verbrauchen bis zu 40 Prozent des benötigten Stroms zur Kühlung. Clouds sind generell Stromfresser, da die Daten immer wieder dorthin und zurück transportiert werden müssen. Hier bietet die Entwicklung intelligenterer Lösungen wie die Kühlung mit Wasser und Luft ebenfalls enormes Einsparpotential. Die derzeit genutzte bequeme und billige Variante der Kühlung mit konventionellem Strom ist definitiv die schlechteste Lösung.

Generell hilft es der Umwelt, wenn an möglichst vielen Stellen Ökostrom genutzt wird. Unternehmen könnten ihre Büros und Produktionsanlagen mit regenerativen Energien betreiben. Einige Internet-Provider wie Strato und Hetzner nutzen in ihren Rechenzentren ausschließlich Ökostrom. Kunden und Verbraucher sollten bei der Wahl eines neuen Server- oder einen Cloud-Dienstleister solche Anbieter bevorzugen oder Druck auf ihre Lieferanten ausüben und so Umstellungsprozesse beschleunigen.

Warum die Datenmengen explodieren

Eine Ursache für die jährlich um mehr als 25 Prozent steigenden Datenmengen, die im Internet übertragen werden, ist die Einführung von Flatrates. Bis in die frühen 2000er Jahre gab es fast ausschließlich zeit- oder volumenbasierte Tarife und jeder Nutzer überlegte genau, wie lange er online ging und welche Datenmengen er verschickte. Das war unbequem, aber deutlich umweltschonender als immer und überall online sein zu können.

Heute gibt es für stationäre Internetverbindungen generell Flatrates, nur bei der Mobilnutzung bestehen teilweise noch Volumenbegrenzungen, wobei weitere Datenvolumina immer billiger dazugekauft werden können. Daher fehlt heute das Bewusstsein dafür, dass jede Mail, jeder Webseitenaufruf, jeder Video-Stream und jeder Cloud-Zugriff einen Datenfluss oft über Tausende von Kilometern zur Folge hat, wofür zusätzlicher Strom benötigt wird. Da das alles unsichtbar im Hintergrund passiert, machen wir uns darüber keine Gedanken.

Die Infrastruktur des Internets muss wegen der explosionsartig steigenden Datenmengen ständig ausgebaut und erweitert werden, was immer mehr Ressourcen und Strom verbraucht. Gerade ländliche Regionen leiden zunehmend unter langsamen Internetverbindungen und einer schlechten Mobilfunkabdeckung. Das ist für Privatnutzer ärgerlich, für Unternehmen ist es ein echter Wettbewerbsnachteil. Glasfaserkabel und eine Minimierung von unnötig übertragenen Daten würden hier Abhilfe schaffen.

Das passiert in einer Minute im Internet

Wie man den Datentransfer gering hält

Laut der Studie von "The Shift Project" machen Videos mit einem geschätzten Anteil von 80 Prozent den Hauptanteil des Datentransfers im Internet aus, wobei drei Viertel davon auf Streaming-Dienste wie NetFlix oder Amazon Prime entfallen. Stellt man hier eine geringere Bildauflösung ein, lässt sich der Datenfluss ohne merklichen Qualitätsverlust insbesondere auf Smartphones deutlich drosseln. Leider nutzen gerade Streaming-Dienste noch überwiegend konventionellen Strom. Immerhin wird YouTube, wie alle Google-Dienste, mit Ökostrom betrieben, Apple und Facebook sind diesbezüglich auch Vorreiter. Amazon hat noch viel Nachholbedarf sowohl bei Clouds als auch Serverdiensten und wird nach eigenen Angaben erst 2030 "grün" sein. Google hat sogar eigene Hardware und effizientere Kühlsysteme für seine Rechenzentren entwickelt, um den Stromverbrauch zu reduzieren. Der Alphabet-Konzern ist übrigens der größte Einkäufer von Ökostrom weltweit.

Firmen sollten überlegen, beispielsweise Trainingsvideos für Mitarbeiter möglichst in einem lokalen Intranet und statt in externen Clouds abzulegen, um die Datenströme zu reduzieren. Videokonferenzen verursachen zwar viele Emissionen, kompensieren dies aber durch die Vermeidung von Dienstreisen.

Jeder Klick verbraucht Strom

Der Anteil des Datentransfers für die Betrachtung von Webseiten und Mailkommunikation ist im Vergleich zu Video-Streaming deutlich geringer. Für eine Suchanfrage bei Google werden beispielsweise "nur" 0,3 Watt-Stunden verbraucht - 20 Anfragen entsprechen dem Stromverbrauch einer Energiesparlampe in einer Stunde. Das klingt erst einmal wenig, allerdings werden in jeder Minute 3,8 Millionen Google-Suchen und viele andere Aktivitäten durchgeführt, wie Statist im Jahr 2019 ermittelt hat.

Auf der Seite www.websitecarbon.com lassen sich die CO2-Emissionen, die durch den Betrieb einer Webseite und den resultierenden Datenfluss entstehen, in wenigen Sekunden ermitteln. Dazu genügt die Eingabe der Internet-Adresse. Der Durchschnittswert liegt aktuell bei 4,6 g CO2 pro Seitenaufruf. Bei 100.000 Seitenabrufen monatlich, die ein mittelständischer Laborgerätehersteller durchaus erreicht, ergibt das 5,5 Tonnen CO2 pro Jahr. Durch eine schlanke Seitenstruktur und verschiedene technische Optimierungsmöglichkeiten lassen sich die Emissionen einer Webseite stark reduzieren.

So liegt beispielsweise das Online-Magazin Analytik NEWS mit einem Wert von 0,07 g CO2 pro Seitenaufruf deutlich unter dem allgemeinen Durchschnittswert und der Server wird mit Ökostrom betrieben.

Es gibt Dienstleister wie Climate Partner oder Atmosfair, die die jährlichen CO2-Emissionen einer Webseite ermitteln und dafür Kompensationszahlungen anbieten, wie sie auch für Flüge, Bahntickets und Hotelbuchungen möglich sind. Die Einnahmen investieren diese Firmen dann in Klimaschutzprojekte. Das ist die zweitbeste Lösung, wenn es nicht möglich ist, zu einem Provider mit "grünem" Rechenzentrum zu wechseln oder die Webseite technisch zu optimieren.

Wer seine täglichen Emissionen beim Surfen im Internet ermitteln will, kann dazu den Carbonalyser benutzen, der als Add-On für Firefox und als Android-App für mobiles Surfen verfügbar ist. Die Anwendung kalkuliert mit 140 g CO2-Emissionen pro Gigabyte Datentransfer. Eine weitere Option ist die klimaneutrale Suchmaschine Ecosia, die 80 Prozent ihres Gewinns in Klimaschutzprojekte und das Pflanzen von Bäumen investiert und so nach eigenen Angaben der Luft mit jeder Suchanfrage 1 kg CO2 entzieht. Ihr Marktanteil in Deutschland liegt noch unter einem Prozent und als Datenbasis wird Bing und nicht Google benutzt.

Grundsätzlich haben Webmaster beim Design ihrer Seite einige Möglichkeiten, die CO2-Emissionen zu minimieren. Eine optimierte Serverkonfiguration, komprimierte Bild- und Videodateien und der generelle Verzicht auf übermäßig große Bilder und Videos beschleunigen nicht nur die Ladezeiten der Seite, sondern machen sie auch energiesparender. Das belohnt inzwischen auch Google mit einem Rankingvorteil. Die Programmierer haben zudem mit webp ein eigenes Bildformat entwickelt, mit dem bessere Kompressionsraten ohne Qualitätsverlust als mit den gängigen Formaten jpg und png erreichbar sind. Auch der derzeit beste und frei verfügbare Komprimieralgorithmus für Webseiten mit dem Namen Zopfli stammt von Google.

Unternehmen und Webagenturen setzen derartige Techniken aber oft aus Unkenntnis nicht ein, sodass unnötig große Datenmengen zum Abruf einer Seite versendet werden. Häufig werden Bilder in zu großer Auflösung eingebunden und nicht optimiert. Der Besucher einer Webseite hat darauf keinen Einfluss. Er ärgert sich höchstens über einen langsamen Seitenaufbau.

Was Nutzer tun können

Jeder kann in seiner täglichen Arbeit eine Menge tun, um überflüssige Datenübertragungen zu reduzieren. Das fängt damit an, Mails nicht mit unnötigen Dateianhängen aufzublähen, sondern diese Daten nur auf Verlangen zu verschicken oder sie auf der Firmen-Webseite bzw. in einer Cloud abzulegen und zu verlinken. Das Problem potenziert sich beim Weiterleiten solcher Mails und erst recht beim Versand von Pressemeldungen und Newslettern an größere Verteiler. Werden an 100 Empfänger jeweils 15 Megabyte als Anhänge versendet, sind das 1,5 Gigabyte Daten. Lesen dann nur 25-30 Adressaten alle Anlagen, wurde ein Gigabyte Datenmüll versendet. Hier fehlt den Absendern leider oft jede Sensibilität, da es ja nichts kostet und böse Rückmeldungen der Empfänger wahrscheinlich noch (zu) selten sind.

Eine weitere Regel lautet "Lieber durch die Erde surfen als durch die Luft". Daten über LAN und WLAN zu transportieren ist immer besser, als eine Mobilfunkverbindung zu nutzen. Ein anderer nicht unwesentlicher Faktor ist die Distanz, die Daten zurücklegen. Wird eine Firmen-Cloud beispielsweise Tausende Kilometer entfernt gehostet, ist der erforderliche Energieaufwand für den Transport der Daten um ein Vielfaches höher, als wenn dafür ein näher gelegener Standort oder ein eigener Intranet-Server genutzt wird.

Fazit

Jeder Nutzer, jedes Unternehmen mit Webseite, Intranet oder Cloud, jeder Hersteller onlinefähiger Geräte, jeder Provider und jeder Rechenzentrum- oder Netzbetreiber kann einen Betrag zu geringerem Stromverbrauch und damit geringeren CO2-Emissionen durch die Internet-Nutzung legen. Auch wenn Ökostrom in der Regel mehr kostet als konventioneller Strom, ist der Umstieg darauf eine einfach zu realisierende Maßnahme, um die negativen Folgen der Digitalisierung etwas zu reduzieren.

Ob die breite Masse der Nutzer ihr Verhalten in ausreichendem Maße bereit ist zu ändern, ist eher fraglich. Eine CO2-Abgabe pro Gigabyte Datentransfer für Betreiber von Webseiten, Provider und Infrastruktur-Dienstleister könnte ein sinnvoller Ansatz sein, ebenso wie höhere Preise für Daten-Flatrates. Das würde zur Entwicklung datensparsamerer Webseiten und Internet-Diensten führen und hoffentlich alle für das Problem sensibilisieren.


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