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20.05.2024

30.11.2023

Licht im Dunkel

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Weihnachtshaus in Sachsen
Weihnachtshaus in Sachsen, Kora27,
[CC BY-SA], via Wikimedia Commons
Es ist wieder soweit: Wir dürfen die erste Kerze am Adventskranz anzünden. Damit wird traditionell der Start in die Vorweihnachtszeit eingeläutet. Dieser Brauch hat seinen Ursprung im Jahr 1839 in Hamburg. Der evangelische Theologe Johann Hinrich Wichern hatte die Idee, seinen Schützlingen im Rauhen Haus - eine von ihm gegründete "Rettungsanstalt für arme und verwahrloste Kinder" - die Zeit bis zum Heiligen Abend sichtbarer und damit das Warten erträglicher zu machen.

Daher bestückte er ein Wagenrad mit 4 großen weißen Kerzen - eine für jeden Advents-Sonntag. Zwischen diesen Kerzen befestigte er jeweils 6 kleinere rote Kerzen, sodass jeden Tag ein neues Licht entzündet werden konnte, bis schließlich am 24. Dezember alle Kerzen leuchteten.

Die Stiftung "Das Rauhe Haus" ist noch heute in Bereichen der Kinder- und Jugendhilfe tätig und auch der Adventskranz schmückt um diese Jahreszeit - aus Platzgründen in der Regel nur noch mit vier Kerzen bestückt - viele deutsche Stuben.

Ein relativ neuer Brauch, der in den letzten 20 Jahren immer unmäßigere Auswüchse annimmt, ist die mehr oder weniger festliche Beleuchtung der Fenster und Hausfassaden. Manch einer beginnt schon direkt nach Halloween, also deutlich vor dem ersten Advent, damit, die blinkenden Lichterketten anzubringen. Nun ist die Idee, Licht in die dunkle Jahreszeit zu bringen, an sich ja nicht schlecht. Aber auch hier gilt: Die Dosis macht das Gift.

Auf dem morgendlichen Weg zur Arbeit fahre ich durch Straßen, die extrem an die Siedlung Önkelstieg im Landkreis Stenkelfeld erinnern. Also hoffe ich, die Straße passieren zu können, bevor die Studentin Bettina U. oder jemand anderes den Schalter der Kaffeemaschine betätigt. In der entsprechenden Folge der Radio-Comedy "Stenkelfeld" von Detlev Gröning und Harald Wehmeier bringt nämlich just dieser Schalter das nahegelegene und durch die exobitante Önkelstieger Weihnachtsbeleuchtung überbeanspruchte Kohlekraftwerk Sottrup-Höcklage zum Explodieren.

Warum reicht es uns nicht mehr, einen Adventskranz auf den Tisch oder vielleicht einen Lichterbogen ins Fenster zu stellen? Hat das vorweihnachtliche Wettrüsten mit immer mehr, immer greller blinkenden Lichtinstallationen für die Betreiber einen tieferen Sinn? Oder geht es darum, einfach "besser" zu sein, als der Nachbar? Getreu dem Motto des Aphoristikers Manfred Hinrich

Konkurrenz ist der Spaß, andern den Spaß zu verderben.
Manfred Hinrich (1926-2015)
Was auch immer der Grund sein mag. Neben dem Energieverbrauch ist die exzessive Lichtemission als Lichtverschmutzung nicht nur in der Vorweihnachtszeit ein globales Problem mit gravierenden Folgen. Deutschland liegt dabei im Vergleich zu den anderen G20 Ländern laut einer in der Zeitschrift Science erschienenen Studie auf dem 3. Platz der Regionen mit der höchsten Lichtverschmutzung.

Lichtverschmutzung kann bei tagaktiven Lebewesen zur Störung des Biorhythmus führen und auch nachtaktive Lebewesen werden durch das Licht orientierungslos und gestört. Es besteht die Gefahr, dass die Aktivitätszeiten verschiedener Arten verschoben werden, sodass diese sich immer stärker in die Quere kommen. Somit können Ökosysteme aus dem Gleichgewicht geraten und die Biodiversität ist gefährdet. Auch Zugvögel werden massiv beeinträchtigt. Sogar Bäume können durch zu viel Licht erheblichen Schaden nehmen.

Da auch wir Menschen nichts anderes als tagaktive Lebewesen sind, geht die übermäßige Beleuchtung unserer Abende und Nächte auch an uns nicht spurlos vorbei. Zu viel Licht kann die Ausschüttung des Schlafhormons Melatonin senken. Schlafstörungen sind die Folge. Das sollten wir bedenken, wenn wir bis kurz vor dem Schlafengehen auf einen Bildschirm schauen.

Eine sternklare und vor allem dunkle Nacht kann man nicht mehr an vielen Orten erleben. Aber wer schon mal in einem der wenigen in Deutschland befindlichen Sternenparks den Sternenhimmel und die Milchstraße bewundern durfte, wird mir sicher beipflichten wie überwältigend das ist.

Auch wenn jeder Einzelne die globale Lichtverschmutzung nur bedingt beeinflussen kann: Ein großer Teil davon kann ohne Einbuße an Lebensqualität vermieden werden, wenn alle sinnlosen und unnützen Lichter ausgeschaltet werden. Fangen wir doch einfach in unserer Straße und in unserem Garten an. Dezentere Weihnachtsbeleuchtung und weniger Lichtquellen in den Beeten für mehr Natur - das ist nachhaltig. Und die Mitarbeiter des Kohlekraftwerks Sottrup-Höcklage werden es uns ebenfalls danken.

» Anhören: Weihnachtsbeleuchtung in Stenkelfeld

» Studie: The new world atlas of artificial night sky brightness

» Wie wirkt sich Lichtverschmutzung auf Lebewesen aus?

Autor:  

Anke Fähnrich

Anke Fähnrich


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