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01.06.2024

16.01.2020

Chemie ist interessanter als Physik!

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Uranylnitrat-Kristalle
Autor: Chemolunatic - Own work [CC BY-SA]
Das manchmal etwas spezielle Verhältnis zwischen Physikern und Chemikern beruht meiner Meinung nach auf der Nähe der Fachgebiete und der teilweisen Überschneidung von Studieninhalten.

So mussten zu meiner Zeit alle Chemie-Studenten ein zweisemestriges Praktikum inklusive Vorlesungen und einer abschließenden mündlichen Vordiplom-Prüfung in Physik durchlaufen und die Physiker umgekehrt das gleiche in Chemie absolvieren.

Dieser Teil des Vordiplom-Studiums wurde von vielen als sehr herausfordernd empfunden, was eine gewisse Hassliebe zwischen den beiden Fächern befördert hat.

Nicht wenige sind daran oder an den erforderlichen Mathematik-Kenntnissen gescheitert, denn beides war weit oberhalb von dem was, man auf dem Gymnasium - selbst im Leistungskurs - gelernt hat. Es ging zu unserer Studienzeit das Gerücht, dass für jeden in Physik durchgefallen Chemie-Studenten die gleiche Zahl Physik-Studenten in der Chemie über die Klinge springen mussten.

Der deutsche Chemie-Nobelpreisträger Fritz Haber, der zusammen mit Carl Bosch die Ammoniaksynthese wirtschaftlich nutzbar machte, hat einmal gesagt:

Das eigentlich Interessante an der Physik ist doch die Chemie.
Fritz Haber (1868-1934)

Dazu fällt mir eine nette Anekdote aus meiner Studienzeit ein: Im qualitativ analytischen Praktikum, in dem man damals noch mit echten Gefahrstoffen hantieren durfte, mussten alle Kationen in einer Salzmischung nach dem Trennungsgang im Lehrbuch Jander / Blasius bestimmt werden. Eine Option war auch Uranverbindungen und ich hatte in einer Analyse gelb fluoreszierende Kristalle, die mir seltsam vorkamen und die auch keiner meiner Kommilitonen je gesehen hatte. Da Chemiker praktisch denken und Zeit sparen wollen, liefen wir mit unseren Proben immer rüber ins Physik-Praktikum und hielten sie dicht an einen dort vorhandenen Geiger-Zähler. Die Physiker waren davon schon recht genervt, weil das Ergebnis immer negativ war.

Bei meiner Probe knisterte der Geiger-Zäher laut und deutlich. Der Physiker war sehr überrascht, wechselte die Gesichtsfarbe und sprang ein paar Meter zurück. Seine letzten Worte waren: "Komm nie wieder mit einer solchen Probe zu mir und sag auch allen Kollegen, dass sie nicht mehr vorbeikommen sollen. Ich stelle meinen Geiger-Zähler nicht mehr dafür zur Verfügung."

Ich konnte die Substanz dann später als Uranylnitrat UO2(NO3)2 identifizieren und habe meinem Betreuer für diese außergewöhnliche Probe gedankt. Ich habe dabei natürlich nicht erwähnt, wie ich das Uran nachgewiesen hatte, denn über den Trennungsgang wäre es jedenfalls sehr viel aufwändiger gewesen. Ins Physik-Praktikum ging ich nie wieder mit einer Probe ...

Die Chemie-Studenten heutzutage benutzen dafür wahrscheinlich eine App wie FlAuMoQ, mit der man nach Aussage der Entwickler "in über 90% der Fälle den komplexen und zeitaufwändigen Kationentrennungsgang ersparen kann". Dann erleben sie leider auch nicht mehr solch schöne Geschichten ...

» Mehr über Fritz Haber

» Wikipedia: Kationentrennungsgang

Autor:  

Dr. Torsten Beyer

Dr. Torsten Beyer


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anonym17.02.2020 um 15:38:37

Das muss ein theologischer Physiker gewesen sein... bisschen Uran da... da ist ein Gang in den Keller eines Fachwerkgebäudes gefährlicher!

Wir mussten einst in der PTA Ausbildung radioaktive Präparate selber herstellen und in meiner Diplomarbeit, oh Gott.... was hatte ich da alles an Präparaten in der Hand... Neutronenmessungen mit Aktivierungsproben an Fusionsexperimenten... ein Kollege hat sogar seinen Ehering aktiviert, damit wir nachweisen konnten, dass Goldproben funktionieren... Dabei war uns klar: Die Abschirmung um den Detektor ist da, damit der Untergrund draußen bleibt... War lustig... und heute arbeite ich praktisch als Chemiker... Naja eben die Physik der Elektronenhülle... aber immer noch besser als dröge Updates aufspielen.




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