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Kinetische Untersuchungen der Chlorgasentwicklung über eine einkristalline RuO2(110)-Modellelektrode

Sohrabnejad Eskan, Iman - Justus-Liebig-Universität Gießen (2017)


In der vorliegenden Dissertation wird die Chlorgasentwicklung (CER) an einkristallinen Oberflächen von RuO2(110)-Modellelektroden mit elektrochemischen und massenspektrometrischen Methoden untersucht. Die experimentellen Resultate werden mit theoretischen DFT (Dichtefunktionaltheorie)-Rechnungen verknüpft und verglichen.

Zur Präparation der Modellelektrode wird auf einem Ru(0001)-Einkristall ein flächendeckendes Oxid mit (110)-Orientierung in einem Sauerstoffstrom unter UHV (Ultrahochvakuum)-Bedingungen aufgewachsen. Die Oberflächenorientierung und die Reinheit des Oxids werden mit Beugungsmethoden (langsame Elektronenbeugung, LEED) bzw. elektrochemischen Methoden (cyclovoltammetrische Messungen) validiert. Die auf diese Weise präparierte RuO2(110)-Modellelektrode wird ohne Unterbrechung der ultrareinen Bedingungen zur Durchführung kinetischer Experimente in eine elektrochemische Zelle überführt. Diese Experimente zielen darauf ab, sowohl den Reaktionsmechanismus der CER über RuO2(110) auf atomarer Ebene zu untersuchen, als auch die scheinbare freie Aktivierungsenthalpie G#app,CER sowie die freie Aktivierungsenthalpie G#rds,CER, ein Maß für die Aktivität des Elektrodenmaterials, zu bestimmen.

Die Verknüpfung cyclovoltammetrischer Messungen mit DFT-Rechnungen schafft die Voraussetzung, die Peaks im experimentell gemessenen Cyclovoltammogramm (CV) zu validieren und die chemische Natur der ablaufenden Redoxprozesse zu erläutern. Aus der Kombination von Experiment und Theorie lässt sich schlussfolgern, dass unter CER-Bedingungen (U > UCER = 1,26 V vs. SHE (Standardwasserstoffelektrode), pH = 1,5 M NaCl) die RuO2(110)-Oberfläche sauerstoffterminiert ist, d. h. alle unterkoordinierten Oberflächen-Rutheniumatome sind mit Sauerstoff abgesättigt. Die Aufnahme von Tafel-Geraden ermöglicht eine Untersuchung des Reaktionsmechanismus der CER über RuO2(110). Die ermittelten Tafel-Steigungen von 36 mV/dec. und 86 mV/dec. in Abhängigkeit der angelegten Überspannung bestätigen, dass die CER nach einem Adsorptions-Desorptions-Mechanismus (in der Literatur als Volmer-Heyrovsky-Mechanismus bezeichnet) abläuft, der auf Basis von DFT-Rechnungen als bevorzugter Reaktionsmechanismus für das RuO2(110)- Elektrodenmaterial identifiziert wurde. Der Tafel-Steigung von 36 mV/dec. bzw. 86 mV/dec. kann hierbei der Desorptions- bzw. der Adsorptionsschritt als geschwindigkeitsbestimmender Reaktionsschritt (rds) zugeordnet werden. Aus den experimentellen Tafel-Geraden werden die freien Enthalpien der Übergangszustände des Adsorptionsschritts (Volmer-Schritt) und des Desorptionsschritts (Heyrovsky-Schritt) bestimmt und mit DFT-Rechnungen verglichen. Die dabei auftretende Differenz von ca. 0,1 eV zwischen Experiment und Theorie ist als hinreichend gut zu beurteilen.

Im Zentrum dieser Arbeit steht die Bestimmung der scheinbaren freien Aktivierungs- enthalpie G#app,CER sowie der freien Aktivierungsenthalpie G#rds,CER der CER über RuO2(110). Hierzu werden jeweils zwei unterschiedliche Methoden vorgestellt und diskutiert. Temperaturabhängige chronoamperometrische Messungen der CER über RuO2(110) zeigen eine scheinbare freie Aktivierungsenthalpie von 0,91 eV, während aus der Auswertung von OLEMS (online elektrochemische Massenspektrometrie)-Messungen G#app,CER = 0,89 eV resultiert. Sowohl über die experimentell gemessenen Tafel- Geraden als auch über die Ermittlung des Polarisationswiderstands wird die freie Aktivierungsenthalpie G#rds,CER in beiden Ansätzen zu 0,89 eV bestimmt.

Aus den kinetischen Messungen lässt sich schlussfolgern, dass die scheinbare freie Aktivierungsenthalpie und die freie Aktivierungsenthalpie der CER über RuO2(110) jeweils ca. 0,90 eV (etwa 87 kJ/mol) betragen. Diese experimentell bestimmten Werte stimmen gut mit DFT-Rechnungen zur CER über RuO2(110) überein, in denen G#app,CER und G#rds,CER zu jeweils 0,79 eV ermittelt wurden.

Die vorliegende Arbeit zeigt auf, wie kinetische Messungen mit DFT- Rechnungen verknüpft werden können und durch Konstruktion des Energie- profils entlang der Reaktionskoordinate tiefgehende Einblicke in eine elektrokatalytische Reaktion an einer einkristallinen Modellelektrode erhalten werden. Diese Methodik ist nicht auf die CER bzw. die RuO2(110)-Modellelektrode beschränkt, sondern ist ein universeller Ansatz, der richtungsweisend für zukünftige molekulare Studien elektrokatalytischer Reaktionen an einkristallinen Oberflächen sein könnte.


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