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23.04.2024
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Breitbandige dielektrische Spektroskopie zur Untersuchung der molekularen Dynamik von Nanometer-dünnen Polymerschichten

Treß, Martin - Universität Leipzig (2014)


Mit dieser Arbeit konnte weltweit zum ersten Mal die molekulare Dynamik von vereinzelten, d.h. einander nicht berührenden Polymerketten experimentell bestimmt werden. Die Grundlage dafür bildet die breitbandige dielektrische Spektroskopie mit ihrer außerordentlich hohen experimentellen Empfindlichkeit. Ermöglicht wurde der Erfolg dieser Messungen durch die Weiterentwicklung einer speziellen Probenanordnung.

Der Ausgangspunkt ist eine Anordnung aus hochleitfähigen Silizium-Elektroden, die durch elektrisch isolierende Siliziumdioxid-Nanostrukturen in einem vordefinierten Abstand gehalten werden und so den Probenkondensator bilden. Zwar konnte dieses Verfahren seine Vorzüge bereits bei Untersuchung dünner Polymerschichten zeigen, allerdings erforderte die Messung an vereinzelten Polymerketten noch einmal wesentliche Verbesserungen. Die größte Bedeutung kommt dabei der reduzierten Höhe der Nanostrukturen (und damit des Elektrodenabstands) auf nur 35 nm zu. Mit dieser Anordnung gelang der Nachweis, dass selbst in vereinzelten kondensierten Polymer-Knäueln die Segmentdynamik (der dynamische Glasübergang) weitgehend identisch zum "bulk"-Material ist. Lediglich ein kleiner Anteil der Segmente von ca. 20 % unterliegt einer etwas langsameren Dynamik, was auf attraktive Wechselwirkungen mit dem Substrat zurückgeführt werden kann.

Ein weiterer integraler Bestandteil dieser Experimente ist durch die Möglichkeit gegeben, nach einer dielektrischen Messung die mit Nanostrukturen versehene obere Elektrode zu entfernen, ohne die Probe zu beschädigen. Nur so kann mit dem Rasterkraftmikroskop die Verteilung der vereinzelten Polymerketten, deren Form und auch das Volumen bestimmt werden. Erst der Vergleich mit dem Volumen, welches man aus dem Molekulargewicht und unter der Annahme der Dichte des "bulk"-Materials für eine einzelne Polymerkette berechnen kann, liefert den Schluss, dass die Polymer-Knäuel im Mittel aus einer einzelnen Kette bestehen. Darüber hinaus erlaubt die Kenntnis der Form eine Abschätzung darüber, wie viele Segmente eines einzelnen Knäuels das Substrat direkt berühren. Deren Anteil ist mit ca. 30 % größer als die Fraktion von Segmenten, die eine verlangsamte Dynamik an den Tag legen. Dieser Befund weist bereits darauf hin, dass nicht alle Segmente, die sich direkt an der Substratoberfläche befinden, gleichermaßen durch attraktive Wechselwirkungen beeinflusst sind. Tatsächlich bilden lediglich ca. 50 % dieser Segmente Wasserstoffbrückenbindungen mit dem Substrat aus, wie komplementäre Untersuchungen mittels Infrarot-Spektroskopie offenbaren. Damit ergibt sich auf der Basis dreier unabhängiger Messmethoden ein schlüssiges und detailliertes Bild, in dem besonders die kurze Reichweite von nur ca. 0,5 nm hervorsticht, in der die Glasdynamik direkt durch attraktive Oberflächenwechselwirkungen beeinflusst wird.

Neben diesem fundamentalen Experiment behandelt die vorliegende Arbeit auch ausgedehnte Untersuchungen an dünnen Polymerschichten im Nanometer-Bereich. Damit ist sie Teil einer international geführten kontroversen Diskussion um die Frage, ob sich im Falle solcher räumlichen Begrenzungen der dynamische und kalorimetrische Glasübergang ändert. Dabei zeigt mit den präsentierten dielektrischen und ellipsometrischen Messungen eine Kombination aus einer Methode, die im Gleichgewichtszustand misst und einer, die den Übergang in den Nichtgleichgewichtszustand bestimmt, dass sich sowohl Polystyrol Schichten verschiedener Molekulargewichte (58,9 kg/mol ≥ MW ≥ 8.090 kg/mol) bis zu einer Dicke von nur 5 nm als auch Polymethylmethacrylat-Schichten auf unterschiedlichen (hydrophilen und hydrophoben) Substraten bis zu einer Dicke von 10 nm weder in ihrem dynamischen noch ihrem kalorimetrischen Glasübergang von der makroskopischen Schmelze unterscheiden.

Im Gegensatz dazu stößt die erfolgreiche Messung vereinzelter Polymerketten eine Tür zu einer Reihe von neuartigen, bisher nicht realisierbaren Experimenten auf. So eröffnet die verwendete Präparationsmethode neben der Möglichkeit, die Dynamik von chemisch an eine Oberfläche gebundenen Polymeren, sogenannten Polymerbürsten, zu untersuchen, zusätzlich die Option, den Einfluss verschiedener Lösungsmittel auf diese Systeme zu erforschen. Mittels besonderer Oberflächen ist damit sogar die Bindung der Ketten an spezielle Ankerpunkte denkbar. Ordnet man diese regelmäßig und in großen Abständen an, so lässt sich die Dynamik von vereinzelten Polymerketten, die in verschiedenen Lösungsmitteln gequollen sind, studieren. Auf diese Weise können funktionale Oberflächen realisiert werden, die möglicherweise neue Wege in der Sensortechnologie oder bei der Entwicklung von Batterien oder Kondensatoren zum Speichern von Energie aufzeigen.


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